Ethik
Bei der Behandlung von Menschen, die sich mit körperlichen oder psychischen Erkrankungen an Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen wenden, werden grundsätzliche Fragen der Ethik berührt. Neben dem vielzitierten (jedoch im Wortlaut wenig bekannten) und mehr als 2000 Jahre alten Eid des Hippokrates (ca. 460-370 v. Chr.) existieren verschiedene weitere standes- und berufsrechtlicher Regelungen, darunter beispielsweise:
das Genfer Ärztegelöbnis (eine zeitgemäße Neufassung des Eid des Hippokrates),
Berufsordnungen der ÄrztInnen (Landesärztekammern), z.B. Bayerische Landesärztekammer (BLÄK): Berufsordnung BLÄK
Berufsordnungen der Psychologischen Psychotherapeut*innen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen und Psychotherapeut*innen (nach neuem Recht ab 2020), z. B. PTK Bayern: Berufsordnung (2014 mit Änderungen 2022)
Psychotherapie als eine systematische Behandlungsmethode psychischer Symptome ist eine noch relativ junge Disziplin, die sich im vorletzten Jahrhundert (Ende 19. bis Anfang 20. Jahrhundert) zu etablieren begann. Diskussionen um ethische Fragen setzten erst sehr spät (1960er bis 70er Jahre), im Zusammenhang des Bekanntwerdens sexueller Übergriffe in Psychotherapien, ein. Ethisch-berufsrechtliche Regelungen existieren heute vor allem als
Berufsordnungen der Landesärzte und -psychotherapeutenkammern sowie als
Ethische Leitlinien der
Berufsverbände, Fachgesellschaften und Ausbildungsinstitute
(teils auch berufsübergreifend, jedoch nur verpflichtend für Mitglieder!);
z.B. Ethikleitlinien der
DGPT (Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie,
Psychosomatik und Tiefenpsychologie e.V.).
Hinweise auf die Verletzung ethischer und berufsrechtlicher Grundsätze
Kommt es innerhalb einer Therapie (oder auch nach einer Therapie) zu einer sexuellen Beziehung oder sexuellen Handlungen (gleich welcher Art und unabhängig davon, ob die Initiative von Ihnen oder Ihrer/m Psychotherapeutin/en ausgegangen ist) zwischen Therapeut*in und Patient*in, so macht sich die/der Behandler eines berufsrechtlichen Vergehens schuldig, das zu berufsrechtlichen (Rüge, Geldstrafe, Verfahren vor dem Berufsgericht, ggf. auch zum Entzug der Zulassung und der Approbation), strafrechtlichen (§ 174c StGB) und zivilrechtlichen Konsequenzen (Schadensersatz, Schmerzensgeld) führen kann.
Darüber hinaus deuten bestimmte Verhaltensweisen auf die Verletzung ethischer Grundsätze hin. Beispielsweise, wenn die/der Psychotherapeut*in
Ihnen eine private oder
freundschaftliche Beziehung anbietet. Das gilt auch für den Fall, daß die Initiative von
Ihnen ausgeht:
"Der Patient hat jedes Recht zu versuchen, den
Analytiker zu verführen. Der Analytiker hat kein Recht zuzulassen, daß er verführt wird."
(Betty Joseph; Quelle: siehe unten),
Sie zu überreden oder zu zwingen versucht, über intime Details aus Ihrem Sexualleben zu sprechen,
über sich und seine eigenen Probleme oder sein Intimleben spricht ohne daß hierfüpr ein therapeutischer Grund zu erkennen ist,
Sie bittet, sich in oder außerhalb der Praxis als 'Fall' in einer Veranstaltung (Vorlesung, Studien-, Supervisionsgruppe) ad personam zu präsentieren,
ohne Ihre Zustimmung und/oder Ihr Wissen Bild- und/oder Tonaufnahmen von der Stunde macht,
sich außerhalb der Stunde mit Ihnen (zum Essen, Kaffeetrinken etc.) verabreden möchte,
eine betont private Atmosphäre in der Stunde herstellt (z.B. Kaffee mit Kuchen oder ein Essen bei Kerzenschein),
Sie in beleidigender Weise behandelt (z.B. erniedrigende Schimpfworte),
Sie in aggressiver oder sexualisierender Weise körperlich berührt (stoßen, schlagen, streicheln, Berühren an intimen Stellen etc.),
Ihnen eine geschäftliche Beziehung anbietet (z. B. Bitte ihr/ihm etwas zu verkaufen oder von ihr/ihm etwas zu erwerben),
mit Dritten (z.B. Angehörigen oder Arbeitgeber*innen) über Sie spricht, obwohl Sie weder ihr Einverständnis erteilt haben, noch andere Rechtfertigungsgründe (z.B. unmittelbare Gefahr für Leib und Leben) vorliegen,
während einer laufenden Einzeltherapie eine weitere Therapie mit Ihrer/m Lebenspartner*in oder einer/m Angehörigen beginnt,
versucht, Sie zu bestimmten Lebensentscheidungen zu drängen (Heirat, Scheidung, Trennung etc.),
Stunden mit der Kassenärztlichen Vereinigung/Krankenkasse abrechnet, obwohl Sie nicht anwesend waren,
wenn die Sitzungen ohne trifftigen therapeutischen Grund nicht in den Praxisräumen stattfinden,
Ihnen jedwede Information über die Sie betreffenden Aufzeichnungen bzw. Behandlungsunterlagen (Berichte an Gutachter*innen, Stundenprotokolle, Berichte von Dritten, Diagnosen etc.) ohne Begründung verweigert,
Stunden privat in Rechnung stellt, obwohl Sie diese aus dringendem Grund (beruflich, familiär) langfristig bzw. fristgerecht (24/48 Stunden) abgesagt haben,
überhöhte Stundensätze privat in Rechnung stellt (üblicher GOÄ/GOP-Satz für analytische und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als Einzelbehandlung mit 50 Minuten: 92,50 Euro bei 2,3-fachem Satz; Verhaltenstherapie als Einzelbehandlung mit 50 Minuten: 100,55 bei 2,3-fachem Satz) und eine nachvollziehbare Begründung fehlt,
zusätzlich zu einer von der gesetzlichen Krankenkasse genehmigten Psychotherapie Privatleistungen (z.B. Zuzahlung zum Kassenhonorar) in Rechnung stellt.
In solchen Fällen sollten Sie sich unbedingt Rat suchen, um sich klar zu werden, ob und gegebenenfalls welche berufsrechtliche Pflichten von der/dem Psychotherapeutin/en verletzt wurden und Informationen zu erhalten, wie Sie sich wehren können. Häufig ist es bereits hilfreich, Fragen stellen zu können und mit Fragen, Unsicherheiten und Ängsten ernst genommen zu werden oder sich hinsichtlich der Verletzung der eigenen Integrität verstanden zu fühlen. Die Anerkennung der Grenzverletzung durch eine/n professionelle/n Dritte/n oder auch durch die (beschuldigten) Therapeut*innen ist häufig ein wichtiger Schritt, um das verlorengegangene Vertrauen wieder aufbauen zu können und ggf. eine weitere Psychotherapie (bei einer/m anderen Psychotherapeutin/en) beginnen zu können.
Institutionen, an die Sie sich wegen der Verletzungen ethischer und/oder berufsrechtlicher Grundsätze wenden können.
Nach den Heilberufekammergesetzen der Länder überwachen die Landesärzte- und Psychotherapeutenkammern die Einhaltung der jeweiligen Berufsordnungen. Sie bieten eine Beratung in allen Fragen rund um die mögliche Verletzung der Berufsordnung an. Für Bayern sind das die
Bayerische Landesärztekammer (BLÄK): siehe unter Wegweiser/Patienten/Gutachterstelle; für die Verletzung der ärztlichen Berufsordnung sind die Kreis- und Bezirksverbände zuständig)
Psychotherapeutenkammer Bayern (PTK Bayern): siehe unter Beratung für Patient*innen Patientenberatung und Beschwerden und Berufsaufsicht
Die Beratung für Patient*innen findet seit 2015 statt und ist ein von der Verwaltung der PTK Bayern organisatorisch und personell getrenntes, niederschwelliges Beratungsangebot. Die Beratungen werden von (durch die Delegiertenversammlung der PTK Bayern) gewählten Kolleg*innen (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen und Psychologische Psychotherapeut*innen) durchgeführt werden.
Soweit die Psychotherapeut*innen Mitglied einer Fachgesellschaft, eines Fachinstituts oder Berufsverbands sind (solche Angaben finden Sie häufig auf dem Praxis-Briefkopf, auf dem Praxisschild oder der Homepage der Psychotherapeut*innen) können Sie auch hier um Hilfe bitten. Inzwischen haben nahezu alle (jedenfalls die seriösen) Institutionen eine entsprechende Anlaufstelle für Patient*innen (z.B. Vertrauensleute und/oder Schlichtungsstelle) aufgebaut. Nicht immer gibt es dort die Möglichkeit, sich zunächst anonym (ohne Nennung des eigenen Namens oder der/des betroffenen Psychotherapeutin/en) zu informieren. Zudem sind die Möglichkeiten einer Ahndung ethischer Grenzverletzungen begrenzt. Als Vereine können die Institutionen nahezu keine Sanktionen verhängen. Das letzte Mittel (Vereinsausschluß) ist meist wenig abschreckend, da viele Vereinsmitglieder bereits im Vorfeld einer Untersuchung aus dem Verein austreten. Damit endet dann auch das vereinsrechtliche Verfahren. Im Gegenzug habe allerdings viele Vereine (Ausbildungsinstitute, Berufs- und Fachgesellschaften) ihre Satzung dahingehend verändert, daß der Austritt jeweils nur zum Ende des Jahres erfolgen kann - so daß das Verfahren dann formal noch durchgeführt werden kann.
Unter Jurist*innenen ist umstritten, ob die Angehörigen der jeweiligen Vereinsgremien (Vertrauensleute, Vertrauensanalytiker*innen etc.) der strafrechtlichen Schweigepflicht unterliegen. Versichern Sie sich unbedingt vor einer Inanspruchnahme, daß die Schweigepflicht (wenigstens vereinsrechtlich) gesichert ist.
Insgesamt ist die Situation noch immer sehr unbefriedigend. Die Psychotherapeuten- und Ärztekammern sind bislang in vielen Fällen nicht in der Lage, ein den spezifischen Interessen und Problemen der von ethischen Grenzverletzungen betroffenen PatientInnen angemessenes, niederschwelliges (ggf. auch mit der Zusicherung der Anonymität) Angebot zu machen (z. B. im Rahmen von Vertrauens- oder Ombudspersonen). Auch deshalb hat sich der bundesweit tätige Ethikverein - Ethik in der Psychotherapie gegründet, an den sich betroffene Patient*innen (aber auch psychotherapeutisch tätige Personen, die entsprechende Fragen haben) wenden können. Dabei entstehen keine Kosten. Bereits seit einigen Jahren bin ich als Berater für den Verein tätig (und habe die Funktion des Stellvertretenden Vorsitzenden übernommen).
Weiterer Ansprechpartner*innen für Beschwerden können die Kassenärztlichen Vereinigungen (Einhaltung der sozialrechtlichen Pflichten der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden ÄrztInnen und Psychotherapeut*innen), die Krankenkassen (Vertretung der Rechte der Versicherten), sowie die Landesministerien für Gesundheit (Aufsicht der Mitarbeiter*innen von Universitätskliniken) sein.
Seit Anfang 2007 besteht die Unabhängige Patientenberatung (UPD), seit Januar 2016 ist die UPD Patientenberatung Deutschland gGmbH Träger der Patientenberatung. Hier können Sie ein persönliches Beratungsgespräch in einer der regionalen Beratungsstellen in Anspruch nehmen (Telefon, online und per Post).
Viele Literaturhinweise finden Sie auf der Webseite des Ethikvereins: Literatur
Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Stand 2004: Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie, Psychiatrie und psychologischer Beratung
Quelle des Zitats von B. Joseph: Gabbard, G. O. (2003): Mißlungene psychoanalytische Behandlungen suizidaler Patienten. Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis 18: 183 und in: S. Zwettler-Otte (Hg.) (2007): Entgleisungen in der Psychoanalyse. Berufsethische Probleme. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht: 120-142 (136); wie Gabbard schreibt, hat Betty Joseph (britische Psychoanalytikerin, Kleinianerin) das einmal ihm gegenüber gesagt.
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