Zitate von Sigmund Freud (1856-1939)

Anmerkung 1: Es existiert eine Vielzahl von Freud zugeschriebenen Zitaten. Daher gebe ich hier die jeweilige Quelle nach der Freud Bibliographie mit Werkkonkordanz (bearbeitet von I. Meyer-Palmedo und G. Fichtner, Frankfurt: Fischer 1982) an - oder ggf. andere Werke (insbesondere aus den veröffentlichten Briefwechseln Freuds).

Anmerkung 2: Nach Ablauf der Schutzfrist ist seit Mitte 2010 eine CD-ROM der Gesammelten Werke Freuds "Freud im Kontext" auf dem Markt: Der Anbieter (die Softwarefirma Karsten Worm/InfoSoftWare) beschreibt den Inhalt wie folgt:

Neuerscheinung. 1. Auflage 2010. Professional-Edition

Elektronisch neu erfaßt und durchgesehen nach dem Textstand der bisher umfangreichsten deutschsprachigen Freud-Edition der Gesammelten Werke (1940-52) unter - insbes. konkordanzieller - Berücksichtigung der Studienausgabe (1969-75) mit allen klassischen Werken von der Traumdeutung bis zur Moses-Schrift sowie beträchtlich vermehrt um zahlreiche weitere, bisher verstreut publizierte und mit dieser Ausgabe erstmals gesammelt erscheinende Werkstücke (u. a. Zur Auffassung der Aphasien, Wir und der Tod, Abriß der Psychoanalyse (Nachlaß), Neurologische Schriften, Schriften zum Kokain und zur zerebralen Kinderlähmung), Zeitungsartikel (u.a. Neue Freie Presse), Rezensionen (u.a. Zentralblatt für Physiologie) und Lexikonartikel (aus Villarets Handwörterbuch und dem Therapeutischen Lexikon Bums) sowie aus medizinischen Zeitschriften (Wiener med. Wochenschrift, Neurologisches Zentralblatt u. a.).

CD-ROM-Ausgabe Freud im Kontext: 132 Euro (ISBN 978-3-932094-77-4); ermäßigter Preis für StudentInnen: 120 Euro

Download-Fassung: 124 Euro


www.infosoftware.de

Anmerkung 3: Quellengesicherte Zitate von Sigmund Freud sind einem kleinen, schön gestalteten Band zu entnehmen: FREUD wörtlich. Zitate & Aphorismen (ausgewählt von H. Etzlstorfer & P. Nömaier). Wien: Brandstätter 2001. Die Anregung für eine ganze Reihe der hier wiedergegebenen Zitate stammt aus diesem Buch.

Anmerkung 4: Ernst Falzeder hat unter dem Titel "Perlensammlung" eine Reihe recht aufschlußreicher Briefstellen gesammelt, die online zur Verfügung stehen: SAP-Zeitung (Salzburger Arbeitskreis für Psychoanalyse) Nr. 17, August 2010 (Ergänzung zu Ernst Falzeder: "Freuds Briefwechsel als paralleles Oeuvre". Beide Beiträge finden Sie auf der Webseite des Salzburger Arbeitskreis für Psychoanalyse (Menü Theorie/Zeitschrift des SAP unter dem Buchstaben "F"): https://sap.or.at

 

□ ■ □ ■

■ □ ■ □

□ ■ □ ■

Stichwort: Abstinenz (siehe auch: Übertragung & Abstinenz & menschliche Beziehung)

Die Kur muß in der Abstinenz durchgeführt werden; ich meine dabei nicht allein die körperliche Entbehrung, auch nicht die Entbehrung von allem, was man begehrt, denn dies würde vielleicht kein Kranker vertragen. Sondern ich will den Grundsatz aufstellen, daß man Bedürfnis und Sehnsucht als zur Arbeit und Veränderung treibende Kräfte bei der Kranken bestehen lassen und sich hüten muß, dieselben durch Surrogate zu beschwichtigen.

Freud, S. (1915a): Bemerkungen über die Übertragungsliebe. GW XI: 313


Stichwort: Abstinenz (siehe auch: Übertragung & Abstinenz & menschliche Beziehung)

Reale sexuelle Beziehungen zwischen Patienten und Analytiker sind ausgeschlossen, auch die feineren Weisen der Befriedigung wie Bevorzugung, Intimität usw. werden vom Analytiker nur in spärlichem Ausmass gewährt. Solche Verschmähung wird zum Anlass der Umwandlung genommen, wahrscheinlich ging dasselbe in der Kindheit des Patienten vor sich.

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 101f


Stichwort: Ärzte

Wie ich bemerke, fallen Erwerb und Tätigkeit beim Arzt ganz auseinander. Man bekommt das Geld umsonst und plagt sich dafür anderwärts ganz ohne Ertrag.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 224 (Wien, 13.5.1886 an Martha Bernays)


Stichwort: Aggression

Zurückhaltung von Aggression ist überhaupt ungesund, wirkt krankmachend (Kränkung). Den Übergang von verhinderter Aggression in Selbstzerstörung durch Wendung der Aggression gegen die eigene Person demonstriert oft eine Person im Wutanfall, wenn sie sich die Haare rauft, mit den Fäusten ihr Gesicht bearbeitet, wobei sie offenbar diese Behandlung lieber einem anderen zugedacht hätte.

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 72


Stichwort: Alkohol

Die Veränderung der Stimmungslage ist das Wertvollste, was der Alkohol dem Menschen leistet, und weshalb dieses »Gift« nicht für jeden gleich entbehrlich ist. Die heitere Stimmung, ob nun endogen entstanden oder toxisch erzeugt, setzt die hemmenden Kräfte, die Kritik unter ihnen, herab und macht damit Lustquellen wieder zugänglich, auf denen die Unterdrückung lastete. (...)

Unter dem Einfluß des Alkohols wird der Erwachsene wieder zum Kinde, dem die freie Verfügung über seinen Gedankenablauf ohne Einhaltung des logischen Zwanges Lust bereitet.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 142


Stichwort: Alter

Ich bin natürlich noch immer kein Freund von Feierlichkeiten, besonders wenn sie einen daran mahnen sollen, wie alt man geworden ist.

Sigmund Freud. Unterdeß halten wir zusammen. Briefe an die Kinder (herausgegeben v. Michael Schröter): Berlin: Aufbau Verlag 2010: 322 (Wien, 8.05.1921; 178-Ernst)


Stichwort: Alter

Nebenbei war die Unruhe dieser Zeit sehr groß, ich habe nicht gewußt, daß man umsomehr zutun bekommt, je älter man wird. Das ruhige Alter scheint auch so eine Fabel zu sein, wie die glückliche Jugend.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 353 (Wien, 20.12.1921 an Ernst und Lucie Freud)


Stichwort: Alter

Eine Kruste von Unempfindlichkeit umzieht mich langsam; was ich klaglos konstatiere. Es ist auch ein natürlicher Ablauf, eine Art des Beginns, anorganisch zu werden. Die »Abgeklärtheit des Alters« heißt man es, glaube ich.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 375 (Wien, 10.5.1925 an Lou Andreas-Salomé)


Stichwort: Alter (siehe auch: Krankheit)

Die einzige Angst, die ich wirklich habe,  ist die vor einem längeren Siechtum ohne Arbeitsmöglichkeit. Direkter gesagt: ohne Erwerbsmöglichkeit. (...) Sie werden verstehen, daß ich dieser Konstellation: drohende Arbeitsunfähigkeit durch schlechte Sprache, abnehmendes Gehör und intellektuelle Unlust, dem Herzen gar nicht böse sein kann, die Herzaffektion eröffnet doch Aussichten auf einen nicht zu verzögerten und nicht zu kläglichen Abschluß.

Sigmund Freud/MaxEitington: Brief v. 19.03.1926; zit. nach Jones, E. (1984 [1962]): Sigmund Freud. Leben und Werk. Band 3. München: dtv: 148


Stichwort: Alter

»Vielleicht verrät sich darin die Güte der Götter,« sagte er, »daß sie uns das Leben immer unangenehmer machen, je älter wir werden. Am Ende scheint uns der Tod weit weniger unerträglich als die mannigfaltigen Bürden des Lebens.«

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4


Stichwort: Alter

Welches Maß von Gutmütigkeit und Humor gehört doch dazu, das grausliche Altwerden zu ertragen.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 440 (Wien, 16.5.1935 an Lou Andreas-Salomé)


Stichwort: Analyse des Analytikers

Wer aber als Analytiker die Vorsicht der Eigenanalyse verschmäht hat, der wird nicht nur durch die Unfähigkeit bestraft, über ein gewisses Maß an seinen Kranken zu lernen, er unterliegt auch einer ernsthafteren Gefahr, die zur Gefahr für andere werden kann. Er wird leicht in die Versuchung geraten, was er in dumpfer Selbstwahrnehmung von den Eigentümlichkeiten seiner eigenen Person erkennt, als allgemeingültige Theorie in die Wissenschaft hinauszuprojizieren, er wird die psychoanalytische Methode in Mißkredit bringen und Unerfahrene irreleiten.

Freud, S. (1912e): Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung. GW VIII: 383


Stichwort: Analyse des Analytikers

Jeder Analytiker sollte periodisch, etwa nach Verlauf von fünf Jahren, sich wieder zum Objekt der Analyse machen, ohne sich dieses Schrittes zu schämen. Das hieße also, auch die Eigenanalyse würde aus einer endlichen eine unendliche Aufgabe, nicht nur die therapeutische Analyse am Kranken.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 96


Stichwort: Baby, his Majesty (siehe auch Narzißmus, kindlicher und Narzißmus, elterlicher)

Der von uns supponierte primäre Narzißmus des Kindes, der eine der Voraussetzungen unserer Libidotheorien enthält, ist weniger leicht durch direkte Beobachtung zu erfassen als durch Rückschluß von einem anderen Punkte her zu bestätigen. Wenn man die Einstellung zärtlicher Eltern gegen ihre Kinder ins Auge faßt, muß man sie als Wiederaufleben und Reproduktion des eigenen, längst aufgegebenen Narzißmus erkennen. Das gute Kennzeichen der Überschätzung, welches wir als narzißtisches Stigma schon bei der Objektwahl gewürdigt haben, beherrscht, wie allbekannt, diese Gefühlsbeziehung. So besteht ein Zwang, dem Kinde alle Vollkommenheiten zuzusprechen, wozu nüchterne Beobachtung keinen Anlaß fände, und alle seine Mängel zu verdecken und zu vergessen, womit ja die Verleugnung der kindlichen Sexualität im Zusammenhange steht. Es besteht aber auch die Neigung, alle kulturellen Erwerbungen, deren Anerkennung man seinem Narzißmus abgezwungen hat, vor dem Kinde zu suspendieren und die Ansprüche auf längst aufgegebene Vorrechte bei ihm zu erneuern. Das Kind soll es besser haben als seine Eltern, es soll den Notwendigkeiten, die man als im Leben herrschend erkannt hat, nicht unterworfen sein. Krankheit, Tod, Verzicht auf Genuß, Einschränkung des eigenen Willens sollen für das Kind nicht gelten, die Gesetze der Natur wie der Gesellschaft vor ihm haltmachen, es soll wirklich wieder Mittelpunkt und Kern der Schöpfung sein. His Majesty the Baby, wie man sich einst selbst dünkte. Es soll die unausgeführten Wunschträume der Eltern erfüllen, ein großer Mann und Held werden an Stelle des Vaters, einen Prinzen zum Gemahl bekommen zur späten Entschädigung der Mutter. Der heikelste Punkt des narzißtischen Systems, die von der Realität hart bedrängte | Unsterblichkeit des Ichs, hat ihre Sicherung in der Zuflucht zum Kinde gewonnen. Die rührende, im Grunde so kindliche Elternliebe ist nichts anderes als der wiedergeborene Narzißmus der Eltern, der in seiner Umwandlung zur Objektliebe sein einstiges Wesen unverkennbar offenbart.

Freud, S. (1914c): Zur Einführung des Narzißmus. GW X: 157f


Stichwort: Beendigung der Psychoanalyse

Indes hier ist es an der Zeit, ein Mißverständnis abzuwehren. Ich habe nicht die Absicht zu behaupten, daß die Analyse überhaupt eine Arbeit ohne Abschluß ist. Wie immer man sich theoretisch zu dieser Frage stellen mag, die Beendigung einer Analyse ist, meine ich, eine Angelegenheit der Praxis. Jeder erfahrene Analytiker wird sich an eine Reihe von Fällen erinnern können, in denen er rebus bene gestis vom Patienten dauernden Abschied genommen hat. Weit weniger entfernt sich die Praxis von der Theorie in Fällen der sogenannten Charakteranalyse. Hier wird man nicht leicht ein natürliches Ende voraussehen können, auch wenn man sich von übertriebenen Erwartungen ferne hält und der Analyse keine extremen Aufgaben stellt. Man wird sich nicht zum Ziel setzen, alle menschlichen Eigenarten zugunsten einer schematischen Normalität abzuschleifen oder gar zu fordern, daß der »gründlich Analysierte« keine Leidenschaften verspüren und keine inneren Konflikte entwickeln dürfe. Die Analyse soll die für die Ichfunktionen günstigsten psychologischen Bedingungen herstellen; damit wäre ihre Aufgabe erledigt.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 96

Anmerkung: Unmittelbar zuvor hat sich Freud mit der nach seiner Überzeugung bestehenden Notwendigkeit einer periodischen Fortsetzung der Eigenanalyse bei Psychoanalytikern – aufgrund "der unausgesetzte(n) Beschäftigung mit all dem Verdrängten" beschäftigt (siehe: Lehranalyse )


Stichwort: Behandlungstechnik & Spielregeln

Wer das edle Schachspiel aus Büchern erlernen will, der wird bald erfahren, daß nur die Eröffnungen und Endspiele eine erschöpfende systematische Darstellung gestatten, während die unübersehbare Mannigfaltigkeit der nach der Eröffnung beginnenden Spiele sich einer solchen versagt. Eifriges Studium von Partien, in denen Meister miteinander gekämpft haben, kann allein die Lücke in der Unterweisung ausfüllen. Ähnlichen Einschränkungen unterliegen wohl die Regeln, die man für die Ausübung der psychoanalytischen Behandlung geben kann.

Ich werde im folgenden versuchen, einige dieser Regeln für die Einleitung der Kur zum Gebrauche des praktischen Analytikers zusammenzustellen. Es sind Bestimmungen darunter, die kleinlich erscheinen mögen und es wohl auch sind. Zu ihrer Entschuldigung diene, daß es eben Spielregeln sind, die ihre Bedeutung aus dem Zusammenhange des Spielplanes schöpfen müssen. Ich tue aber gut daran, diese Regeln als »Ratschläge« auszugeben und keine unbedingte Verbindlichkeit für sie zu beanspruchen.

Freud, S. (1913c): Zur Einleitung der Behandlung. GW VIII: 454

Anmerkung: Diana Pflichthofer nimmt das von Freud hier angedeutete Thema der Spielregeln, die nicht den Charakter rigide Vorgaben haben, aber auch nicht der Beliebigkeit das Wort reden, in ihrem - überaus lesenswerten - Buch: Spielregeln der Psychoanalyse (Gießen: Psychosozial-Verlag 2012) auf.

Manches Vorgehen von Freud in Behandlungs- und Lehranalysen ist aus heutiger Sicht sehr problematisch, teils auch ethisch fragwürdig (wenn auch sexuelle Übergriffe nicht bekannt sind) - mit seinem Umgang mit der Diskretion habe ich mich näher beschäftigt (www.schweigepflicht-online.de unter Freud). Freuds angewandte Behandlungstechnik war bei weitem weniger streng, als es seine behandlungstechnischen Schriften vermuten lassen (siehe auch das nachfolgende Zitat). Zugleich fällt auf, wie sehr die Rezeption seiner technischen Regeln durch die nachfolgenden Generationen von den strengen, rigiden Aspekte geprägt war (vgl. Pflichthofer 2012: 23).


Stichwort: Behandlungstechnik & Spielregeln

Die außerordentliche Verschiedenheit der in Betracht kommenden psychischen Konstellationen, die Plastizität aller seelischen Vorgänge und der Reichtum an determinierenden Faktoren widersetzen sich auch einer Mechanisierung der Technik und gestatten es, daß ein sonst berechtigtes Vorgehen gelegentlich wirkungslos bleibt und ein für gewöhnlich fehlerhaftes einmal zum Ziele führt. Diese Verhältnisse hindern indes nicht, ein durchschnittlich zweckmäßiges Verhalten des Arztes festzustellen.

Freud, S. (1913c): Zur Einleitung der Behandlung. GW VIII: 454f


Stichwort: Behandlungsziel & Psychoanalyse

Ich habe wiederholt von meinen Kranken, wenn ich ihnen Hilfe oder Erleichterung durch eine kathartische Kur versprach, den Einwand hören müssen: Sie sagen ja selbst, daß mein Leiden wahrscheinlich mit meinen Verhältnissen und Schicksalen zusammenhängt: daran können Sie ja nichts ändern; auf welche Weise wollen Sie mir denn helfen? Darauf habe ich antworten können: — Ich zweifle ja nicht, daß es dem Schicksale leichter fallen müßte als mir, Ihr Leiden zu beheben: aber Sie werden sich überzeugen, daß viel damit gewonnen ist, wenn es uns gelingt, Ihr hysterisches Elend in gemeines Unglück zu verwandeln. Gegen das letztere werden Sie sich mit einem wiedergenesenen Seelenleben besser zur Wehre setzen können.

Freud, S. & Breuer J. (1895d): Studien über Hysterie. GW I: 311f


Stichwort: Behandlungsziel & Psychoanalyse (siehe auch: Heilung)

Der geheilte Nervöse ist wirklich ein anderer Mensch geworden, im Grunde ist er aber natürlich derselbe geblieben, d.h. er ist so geworden, wie er bestenfalls unter den günstigsten Bedingungen hätte werden können. Aber das ist sehr viel. Wenn Sie dann hören, was man alles tun muß und welcher Anstrengung es bedarf, um jene anscheinend geringfügige Veränderung in seinem Seelenleben durchzusetzen, wird Ihnen die Bedeutung eines solchen Unterschiedes im psychischen Niveau wohl glaubhaft erscheinen.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 452


Stichwort: Behandlungsziel & Psychoanalyse

Je le pensai, Dieu le guérit. Mit etwas Ähnlichem sollte sich der Analytiker zufrieden geben.

Freud, S. (1912e): Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung. GW VIII: 381

Anmerkung: Ich verband es, Gott heilt es." (Übers. d. Verf.)


Stichwort: Behandlungsziel & Psychoanalyse

Man wird sich nicht zum Ziel setzen, alle menschlichen Eigenarten zugunsten einer schematischen Normalität abzuschleifen oder gar zu fordern, daß der »gründlich Analysierte« keine Leidenschaften verspüren und keine inneren Konflikte entwickeln dürfe. Die Analyse soll die für die Ichfunktionen günstigsten psychologischen Bedingungen herstellen; damit wäre ihre Aufgabe erledigt.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 96


Stichwort: Beschneidung

Von anderer Seite werden wir aber gewarnt, den Einfluß eines Moments wie die Blutscheu nicht zu überschätzen. Diese hat es doch nicht vermocht, Gebräuche wie die Beschneidung der Knaben und die noch grausamere der Mädchen (Exzision der Klitoris und der kleinen Labien), die zum Teile bei den nämlichen Völkern geübt werden, zu unterdrücken oder die Geltung von anderem Zeremoniell, bei dem Blut vergossen wird, aufzuheben. Es wäre also auch nicht zu verwundern, wenn sie bei der ersten Kohabitation zugunsten des Ehemannes überwunden würde.

Freud, S. (1918a): Das Tabu der Virginität (Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens). GW XII: 166


Stichwort: Beschneidung

Die uralte Sitte der Beschneidung, ein anderer Symbolersatz der Kastration, lässt sich nur verstehen als Ausdruck der Unterwerfung unter den Willen des Vaters. (Siehe die Pubertätsriten der Primitiven.) Wie sich der oben beschriebene Ablauf bei den Völkern und in den Kulturen gestaltet, die die kindliche Masturbation nicht unterdrücken, ist noch nicht untersucht worden.

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 117, Fußnote 1

Anmerkung: Der türkische Psychoanalytiker Volkan hat 2006 in der Zeit einen Beitrag geschrieben und bezieht sich darin explizit auf die Freudsche Theorie im Zusammenhang mit der muslimischen Beschneidung:
Zeit online (18. Mai 2006 14:00 Uhr - das online-Dokument ist inzwischen nicht mehr abrufbar): Freud International: Aufgeklärte Beschneidung. Die Psychoanalyse erreicht in der Türkei nur jene, in deren Alltag die Religion keine Rolle spielt – die Tradition aber sehr wohl (von Vamik Volkan):

Fast alle Patienten, die in der Türkei eine Analyse machen, sind westlich orientiert und führen ein modernes Leben. Gleichwohl kommen sie, wie ich, aus einer muslimischen Kultur und werden mit bestimmten Erfahrungen konfrontiert, die ihre westlichen Zeitgenossen nicht machen müssen. Beispielsweise sind alle männlichen muslimischen Analysanden als Kind beschnitten worden. Eine wichtige Rolle in der Freudschen Theorie spielen der Ödipus-Komplex und die Kastrationsangst, die nicht nur Probleme schafft, sondern auch den Ödipus-Komplex überwinden hilft. Wird durch die Beschneidung die Kastrationsangst türkischer Knaben verstärkt, ihre Regressionsneigung unterstützt? Nicht, wenn die Beschneidung gemäß muslimischer Tradition vorgenommen wird. Vielmehr kann der Knabe seine männliche Identität leichter entwickeln. Der Knabe unterwirft sich erst Allah/Vater und wird symbolisch kastriert. Die Beschneidung dient unbewusst als »Vergeltung« für inzestuöse Wünsche, da der Knabe aber dieses »Opfer« bringt, darf er ein Mann werden. (Auszug)


Stichwort: Besitzungleichheit (siehe auch: Neid)

Wer in seinen eigenen jungen Jahren das Elend der Armut verkostet, die Gleichgiltigkeit und den Hochmut der Besitzenden erfahren hat, sollte vor dem Verdacht geschützt sein, daß er kein Verständnis und kein Wohlwollen für die Bestrebungen hat, die Besitzungleichheit der Menschen und was sich aus ihr ableitet, zu bekämpfen. Freilich, wenn sich dieser Kampf auf die abstrakte Gerechtigkeitsforderung der Gleichheit aller Menschen berufen will, liegt der Einwand zu nahe, daß die Natur durch die höchst ungleichmäßige körperliche Ausstattung und geistige Begabung der Einzelnen Ungerechtigkeiten eingesetzt hat, gegen die es keine Abhilfe gibt.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 472 Fußnote 1


Stichwort: Böse, das  (siehe auch: Menschen & Wesen)

Es gibt Menschen, die gut sind, weil ihnen nichts Böses einfällt, und andere, die gut sind, weil sie ihre bösen Gedanken – immer oder häufig – überwinden.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 203 (Paris, 27.1.1886 an Martha Bernays)


Stichwort: Böse, das  (siehe auch: Menschen & Wesen)

In Wirklichkeit gibt es keine »Ausrottung« des Bösen. Die psychologische – im strengeren Sinne die psychoanalytische – Untersuchung zeigt vielmehr, daß das tiefste Wesen des Menschen in Triebregungen besteht, die elementarer Natur, bei allen Menschen gleichartig sind und auf die Befriedigung gewisser ursprünglicher Bedürfnisse zielen. Diese Triebregungen sind an sich weder gut noch böse. Wir klassifizieren sie und ihre Äußerungen in solcher Weise, je nach ihrer Beziehung zu den Bedürfnissen und Anforderungen der menschlichen Gemeinschaft. Zuzugeben ist, daß alle die Regungen, welche von der Gesellschaft als böse verpönt werden – nehmen wir als Vertretung derselben die eigensüchtigen und die grausamen – sich unter diesen primitiven befinden.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 331f


Stichwort: Böse, das  (siehe auch: Menschen & Wesen)

Der Mensch ist selten im ganzen gut oder böse, meist »gut« in dieser Relation, »böse« in einer anderen oder »gut« unter solchen äußeren Bedingungen, unter anderen entschieden »böse«. Interessant ist die Erfahrung, daß die kindliche Präexistenz starker »böser« Regungen oft geradezu die Bedingung wird für eine besonders deutliche Wendung des Erwachsenen zum »Guten«. Die stärksten kindlichen Egoisten können die hilfreichsten und aufopferungsfähigsten Bürger werden; die meisten Mitleidsschwärmer, Menschenfreunde, Tierschützer haben sich aus kleinen Sadisten und Tierquälern entwickelt.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 332f


Stichwort: Böse, das  (siehe auch: Menschen & Wesen)

Im tiefsten Inneren bin ich ja doch überzeugt, daß meine lieben Mitmenschen - mit einzelnen Ausnahmen - Gesindel sind.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 407 (Schneewinkl, 28.7.1929 an Lou Andreas-Salomé)


Stichwort: Böse, das  (siehe auch: Menschen & Wesen)

Man hat, meine ich, mit der Tatsache zu rechnen, daß bei allen Menschen destruktive, also antisoziale und antikulturelle Tendenzen vorhanden sind und daß diese bei einer großen Anzahl von Personen stark genug sind, um ihr Verhalten in der menschlichen Gesellschaft zu bestimmen.

Freud, S. (1927c): Die Zukunft einer Illusion. GW XIV: 328


Stichwort: Böse, das  (siehe auch: Menschen & Wesen)

Homo homini lupus; wer hat nach allen Erfahrungen des Lebens und der Geschichte den Mut, diesen Satz zu bestreiten?

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 471

Anmerkung: Unmittelbar voraushegend schreibt Freud:

Das gern verleugnete Stück Wirklichkeit hinter alledem ist, daß der Mensch nicht ein sanftes, liebebedürftiges Wesen ist, das sich höchstens, wenn angegriffen, auch zu verteidigen vermag, sondern daß er zu seinen Triebbegabungen auch einen mächtigen Anteil von Aggressionsneigung rechnen darf. Infolgedessen ist ihm der Nächste nicht nur möglicher Helfer und Sexualobjekt, sondern auch eine Versuchung, seine Aggression an ihm zu befriedigen, seine Arbeitskraft ohne Entschädigung auszunützen, ihn ohne seine Einwilligung sexuell zu gebrauchen, sich in den Besitz seiner Habe zu setzen, ihn zu demütigen, ihm Schmerzen zu bereiten, zu martern und zu töten. (ebd. 470f)


Stichwort: Brust  (siehe auch: Frauenbrust)

An der Frauenbrust treffen sich Liebe und Hunger.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 211


Stichwort: Darstellung psychoanalytischer Behandlungen

Das Gespräch, in dem die psychoanalytische Behandlung besteht, verträgt keinen Zuhörer; es läßt sich nicht demonstrieren. Man kann natürlich auch einen Neurastheniker oder Hysteriker in einer psychiatrischen Vorlesung den Lernenden vorstellen. Er erzählt dann von seinen Klagen und Symptomen, aber auch von nichts anderem. Die Mitteilungen, deren die Analyse bedarf, macht er nur unter der Bedingung einer besonderen Gefühlsbindung an den Arzt; er würde verstummen, sobald er einen einzigen, ihm indifferenten Zeugen bemerkte. Denn diese Mitteilungen betreffen das Intimste seines Seelenlebens, alles was er als sozial selbständige Person vor anderen verbergen muß, und im weiteren alles, was er als einheitliche Persönlichkeit sich selbst nicht eingestehen will.

Sie können also eine psychoanalytische Behandlung nicht mitanhören. Sie können nur von ihr hören und werden die Psychoanalyse im strengsten Sinne des Wortes nur vom Hörensagen kennen lernen. Durch diese Unterweisung gleichsam aus zweiter Hand kommen Sie in ganz ungewohnte Bedingungen für eine Urteilbildung. Es hängt offenbar das meiste davon ab, welchen Glauben Sie dem Gewährsmann schenken können.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 10

Anmerkung: So sehr Freud hier die Notwendigkeit eines geschützten Raums betont (Zusicherung von Diskretion gegen volle Offenheit - siehe bei Diskretion) so sehr hat diese Haltung auch die Entwicklung der Psychoanalyse als Wissenschaft behindert. Bis heute hält sich unter PsychoanalytikerInnen die Ansicht, psychoanalytische Behandlungen ließen sich (aus Diskretionsgründen, wegen des Untersuchungsgegenstandes - des Unbewußten und wegen der Veränderung der Prozesse unter Untersuchungsbedingungen) nicht untersuchen).


Stichwort: Definition des Seelischen & Psychoanalyse

Ihre [der Psychoanalyse] Definition des Seelischen lautet, es seien Vorgänge von der Art des Fühlens, Denkens, Wollens, und sie muß vertreten, daß es unbewußtes Denken und ungewußtes Wollen gibt.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 14f


Stichwort: Diskretion

Mit den Neurotikern schliessen wir also den Vertrag: volle Aufrichtigkeit gegen strenge Diskretion.

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 99

Anmerkung: Ich habe sämtliche Zitate Freuds zum Thema Diskretion und Schweigepflicht (und auch Zitate über Freud im Hinblick auf seinen Umgang mit der Diskretion) auf der Seite www.schweigepflicht-online.de unter dem Stichwort Freud dokumentiert.


Stichwort: Deuten

Deuten heißt, einen verborgenen Sinn finden.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 83


Stichwort: Ehe

Daß die Ehe nicht die Veranstaltung ist, die Sexualität des Mannes zu befriedigen, getraut man sich nicht laut und öffentlich zu sagen (…).

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 122


Stichwort: Ehe

Nach diesen drei, vier oder fünf Jahren versagt die Ehe, insofern sie die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse versprochen hat; denn alle Mittel, die sich bisher zur Verhütung der Konzeption ergeben haben, verkümmern den sexuellen Genuß, stören die feinere Empfindlichkeit beider Teile oder wirken selbst direkt krankmachend; mit der Angst vor den Folgen des Geschlechtsverkehres schwindet zuerst die körperliche Zärtlichkeit der Ehegatten füreinander, in weiterer Folge meist auch die seelische Zuneigung, die bestimmt war, das Erbe der anfänglichen stürmischen Leidenschaft zu übernehmen. Unter der seelischen Enttäuschung und körperlichen Entbehrung, die so das Schicksal der meisten Ehen wird, finden sich beide Teile auf den früheren Zustand vor der Ehe zurückversetzt, nur um eine Illusion verarmt und von neuem auf ihre Festigkeit, den Sexualtrieb zu beherrschen und abzulenken, angewiesen.

Freud, S. (1908d): Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität. GW VII: 157


Stichwort: Ehe & Entwicklungsstörung (Kinder)

Zwistigkeiten zwischen den Eltern selbst, unglückliche Ehe derselben, bedingen die schwerste Prädisposition für gestörte Sexualentwicklung oder neurotische Erkrankung der Kinder.

Freud, S. (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW V: 130

Anmerkung: Freud bezieht hier in seine Überlegungen zu den intrapsychischen Vorgängen (infantile Objektwahl) das System Familie mit ein!


Stichwort: Endliche & unendliche Analyse (siehe auch Psychoanalytiker, Befähigung zum Beruf & Lehranalyse und Lehranalyse)

Ein inhaltreicher Vortrag, den S. Ferenczi 1927 gehalten, »Das Problem der Beendigung der Analysen«,(…) schließt mit der tröstlichen Versicherung, »daß die Analyse kein endloser Prozeß ist, sondern bei entsprechender Sachkenntnis und Geduld des Analytikers zu einem natürlichen Abschluß gebracht werden kann«. Ich meine, im ganzen kommt dieser Aufsatz doch einer Mahnung gleich, sich nicht die Abkürzung, sondern die Vertiefung der Analyse zum Ziel zu setzen. Ferenczi fügt noch die wertvolle Bemerkung an, es sei so sehr entscheidend für den Erfolg, daß der Analytiker aus seinen eigenen »Irrungen und Irrtümern« genügend gelernt und die »schwachen Punkte der eigenen Persönlichkeit« in seine Gewalt bekommen habe. Das ergibt eine wichtige Ergänzung zu unserem Thema. Nicht nur die Ichbeschaffenheit des Patienten, auch die Eigenart des Analytikers fordert ihre Stelle unter den Momenten, die die Aussichten der analytischen Kur beeinflussen und dieselbe nach Art der Widerstände erschweren.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 93


Stichwort: Ethik & Übertragungsliebe

Für den Arzt vereinigen sich nun ethische Motive mit den technischen, um ihn von der Liebesgewährung an die Kranke zurückzuhalten. (…) Ich will nicht behaupten, daß es dem Arzte immer leicht wird, sich innerhalb der ihm von Ethik und Technik vorgeschriebenen Schranken zu halten. (…) Unzweifelhaft ist die geschlechtliche Liebe einer der Hauptinhalte des Lebens und die Vereinigung seelischer und körperlicher Befriedigung im Liebesgenusse geradezu einer der Höhepunkte desselben. Alle Menschen bis auf wenige verschrobene Fanatiker wissen das und richten ihr Leben danach ein; nur in der Wissenschaft ziert man sich, es zuzugestehen. (…) Und doch bleibt für den Analytiker das Nachgeben ausgeschlossen. So hoch er die Liebe schätzen mag, er muß es höher stellen, daß er die Gelegenheit hat, seine Patientin über eine entscheidende Stufe ihres Lebens zu heben. (…) Der analytische Psychotherapeut hat so einen dreifachen Kampf zu führen, in seinem Inneren gegen die Mächte, welche ihn von dem analytischen Niveau herabziehen möchten, außerhalb der Analyse gegen die Gegner, die ihm die Bedeutung der sexuellen Triebkräfte bestreiten und es ihm verwehren, sich ihrer in seiner wissenschaftlichen Technik zu bedienen, und in der Analyse gegen seine Patienten, die sich anfangs wie die Gegner gebärden, dann aber die sie beherrschende Überschätzung des Sexuallebens kundgeben und den Arzt mit ihrer sozial ungebändigten Leidenschaftlichkeit gefangen nehmen wollen.

Freud, S. (1915a): Bemerkungen über die Übertragungsliebe. GW X: 318ff


Stichwort: Forschung, Wissenschaft & Psychoanalyse

In der Psychoanalyse bestand von Anfang ein Junktim zwischen Heilen und Forschen, die Erkenntnis brachte den Erfolg, man konnte nicht behandeln, ohne etwas Neues zu erfahren, man gewann keine Aufklärung, ohne ihre wohltätige Wirkung zu erleben. Unser analytisches Verfahren ist das einzige, bei dem dies kostbare Zusammentreffen gewahrt bleibt. Nur wenn wir analytische Seelsorge treiben, vertiefen wir unsere eben aufdämmernde Einsicht in das menschliche Seelenleben. Diese Aussicht auf wissenschaftlichen Gewinn war der vornehmste, erfreulichste Zug der analytischen Arbeit; dürfen wir sie irgendwelchen praktischen Erwägungen zum Opfer bringen?

Freud, S. (1927a): Nachwort zur Frage der Laienanalyse. GW XIV: 293f


Stichwort: Frauen

Es ist auch ein gar zu lebensunfähiger Gedanke, die Frauen genauso in den Kampf ums Dasein zu schicken wie die Männer.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 82 (Wien, 15.11.1883 an Martha Bernays)

Anmerkung: In den nachfolgenden Worten geht es um Fragen, welche die Beziehung zu seiner Geliebte Martha - die ich hier nicht wiedergeben möchte, weil sie nicht (wie übrigens seine Briefe insgesamt) für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Dann aber schreibt Freud doch wieder über Frauen allgemein - und das scheint schon aufschlußreich für sein Frauenbild:

Möglich, daß eine veränderte Erziehung all die zarten, des Schutzes bedürftigen und so siegreichen Eigenschaften der Frauen unterdrücken kann, so daß sie wie die Männer ums Brot werben können. Möglich auch, daß es nicht berechtigt ist, in diesem Fall den Untergang des Reizendsten, was die Welt uns bietet, unseres Ideals vom Weibe zu betrauern; ich glaube, alle reformatorische Tätigkeit der Gesetzgebung und Erziehung wird an der Tatsache scheitern, daß die Natur lange vor dem Alter, in dem man in unserer Gesellschaft Stellung erworben haben kann, [die Frau] durch Schönheit, Liebreiz und Güte zu etwas {anderem] bestimmt. (...); Gesetzgebung und Brauch haben den Frauen viel vorenthaltene Rechte zu geben, aber die Stellung der Frau wird keine andere sein können, als sie ist, in jungen Jahren ein angebetetes Liebchen, und in reiferen ein geliebtes Weib. (ebd. 82f)


Stichwort: Frauen

Frauen sind mit ihrem feineren Verständnis für unbewußte seelische Vorgänge in der Regel eher geneigt, es als Beleidigung anzusehen, wenn man sie auf der Straße nicht erkennt, also nicht grüßt, als an die nächstliegenden Erklärungen zu denken, daß der Säumige kurzsichtig sei oder in Gedanken versunken sie nicht bemerkt habe. Sie schließen, man hätte sie schon bemerkt, wenn man sich »etwas aus ihnen machen würde«.

Freud, S. (1901b): Zur Psychopathologie des Alltagslebens. GW IV: 173 (Fußnote 1)


Stichwort: Frauen (siehe auch: Sexualität & Frauen)

Die Bedeutung des Moments der Sexualüberschätzung läßt sich am ehesten beim Manne studieren, dessen Liebesleben allein der Erforschung zugänglich geworden ist, während das des Weibes zum Teil infolge der Kulturverkümmerung, zum anderen Teil durch die konventionelle Verschwiegenheit und Unaufrichtigkeit der Frauen in ein noch undurchdringliches Dunkel gehüllt ist.

Freud, S. (1905d): Drei Abhandlungen zu Sexualtheorie. GW V: 50

Anmerkung: Freud versteht unter "Sexualüberschätzung" die Wertschätzung des Sexualobjekts, die sich nicht alleine auf dessen Genitalien, sondern auf den ganzen Körper (mit der Tendenz alle vom Sexualobjekt ausgehenden Sensationen einzubeziehen). Sie strahlt auch auf das "psychische Gebiet" aus und zeigt sich als "logische(r) Verblendung (Urteilsschwäche)".


Stichwort: Frauen

Die Frauen vertreten die Interessen der Familie und des Sexuallebens; die Kulturarbeit ist immer mehr Sache der Männer geworden, stellt ihnen immer schwierigere Aufgaben, nötigt sie zu Triebsublimierungen, denen die Frauen wenig gewachsen sind.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 463


Stichwort: Frauen (siehe auch: Gerechtigkeit & Frauen)

Daß man dem Weib wenig Sinn für Gerechtigkeit zuerkennen muß, hängt wohl mit dem Überwiegen des Neids in ihrem Seelenleben zusammen, denn die Gerechtigkeitsforderung ist eine Verarbeitung des Neids, gibt die Bedingung an, unter der man ihn fahren lassen kann. Wir sagen auch von den Frauen aus, daß ihre sozialen Interessen schwächer und ihre Fähigkeit zur Triebsublimierung geringer sind als die der Männer. (…) Ein Mann um die Dreißig erscheint als ein jugendliches, eher unfertiges Individuum, von dem wir erwarten, daß es die Möglichkeiten der Entwicklung, die ihm die Analyse eröffnet, kräftig ausnützen wird. Eine Frau um die gleiche Lebenszeit aber erschreckt uns häufig durch ihre psychische Starrheit und Unveränderlichkeit. Ihre Libido hat endgültige Positionen eingenommen und scheint unfähig, sie gegen andere zu verlassen. Wege zu weiterer Entwicklung ergeben sich nicht; es ist, als wäre der ganze Prozeß bereits abgelaufen, bliebe von nun an unbeeinflußbar, ja als hätte die schwierige Entwicklung zur Weiblichkeit die Möglichkeiten der Person erschöpft. (…) Das ist alles, was ich Ihnen über die Weiblichkeit zu sagen hatte. Es ist gewiß unvollständig und fragmentarisch, klingt auch nicht immer freundlich. Vergessen Sie aber nicht, daß wir das Weib nur insofern beschrieben haben, als sein Wesen durch seine Sexualfunktion bestimmt wird. Dieser Einfluß geht freilich sehr weit, aber wir behalten im Auge, daß die einzelne Frau auch sonst ein menschliches Wesen sein mag. Wollen Sie mehr über die Weiblichkeit wissen, so befragen Sie Ihre eigenen Lebenserfahrungen, oder Sie wenden sich an die Dichter, oder Sie warten, bis die Wissenschaft Ihnen tiefere und besser zusammenhängende Auskünfte geben kann.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXIII. Vorlesung: Die Weiblichkeit). GW XV: 144f


Stichwort: Frauen & Männer (siehe auch: Männer & Frauen und Männlich & Weiblich und Weiblich & Männlich)

Ein Mann um die Dreißig erscheint als ein jugendliches, eher unfertiges Individuum, von dem wir erwarten, daß es die Möglichkeiten der Entwicklung, die ihm die Analyse eröffnet, kräftig ausnützen wird. Eine Frau um die gleiche Lebenszeit aber erschreckt uns häufig durch ihre psychische Starrheit und Unveränderlichkeit.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXIII. Vorlesung: Die Weiblichkeit). GW XV: 144


Stichwort: Frauenbrust (siehe auch: Brust)

An der Frauenbrust treffen sich Liebe und Hunger.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 211


Stichwort: Freud über Freud

Aber ich bin so wenig ehrgeizig. Ich weiß, daß ich was bin, ohne der Anerkennung zu bedürfen.

Ich glaube, es ist ein schweres Unglück für mich, daß die Natur mir nicht jenes unbestimmte Etwas gegeben hat, was die Menschen anzieht.

Seitdem weiß ich längst, daß ich kein Genie bin und verstehe nicht mehr, wie ich es zu sein wünschen konnte. Ich bin nicht einmal sehr begabt, meine ganze Befähigung zur Arbeit liegt wahrscheinlich in meinen Charaktereigenschaften und in dem Mangel hervorragender intellektueller Schwächen.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968:

112 (Wien, 19.4.1884 an Martha Bernays)

205 (Paris, 27.1.1886 an Martha Bernays)

208 (Paris, 2.2.1886 an Martha Bernays)


Stichwort: Freud über Freud

Ich habe nicht genug gelernt, um Mediziner zu sein, in meiner medizinischen Entwicklung gibt es einen Riß, der später mühsam geknüpft worden ist. Ich konnte gerade noch so viel lernen, daß ich Neuropatholog wurde.

Freud, S. (1888): Briefe an Wilhelm Fließ (1887 – 1904), hrsg. von J. M. Masson (Deutsche Fassung: M. Schröter). Frankfurt/M.: S. Fischer 1986: 10 (Brief 3: Wien, 29.8.1888)


Stichwort: Freud über Freud

Im ganzen habe ich mich geprüft und gefunden, daß ich mich kaum zu ändern brauche.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 235 (Wien, 3.5.1889 an Josef Breuer)


Stichwort: Freud über Freud

Ich habe als junger Mensch keine andere Sehnsucht gekannt als die nach philosophischer Erkenntnis, und ich bin jetzt im Begriff, sie zu erfüllen, indem ich von der Medizin zur Psychologie hinüberlenke. Therapeut bin ich wider Willen geworden; ich habe die Überzeugung, daß ich Hysterie und Zwangsneurose definitiv heilen kann, gewisse Bedingungen der Person und des Falles zugegeben.

Freud, S. (1888): Briefe an Wilhelm Fließ (1887 – 1904), hrsg. von J. M. Masson (Deutsche Fassung: M. Schröter). Frankfurt/M.: S. Fischer 1986: 190 (Brief 93: Wien, 2.4.1896)


Stichwort: Freud über Freud

Der Hauptpatient, der mich beschäftigt, bin ich selbst.

Freud, S. (1888): Briefe an Wilhelm Fließ (1887 – 1904), hrsg. von J. M. Masson (Deutsche Fassung: M. Schröter). Frankfurt/M.: S. Fischer 1986: 281 (Brief 136: Aussee, 14.8.1897)


Stichwort: Freud über Freud

Ich bin, soviel ich weiß, nicht ehrgeizig, übe meine ärztliche Tätigkeit mit zufriedenstellendem Erfolge aus, auch ohne daß mich ein Titel empfiehlt. Es handelte sich übrigens gar nicht darum, ob ich die Trauben für süß oder sauer erklärte, da sie unzweifelhaft zu hoch für mich hingen.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 142


Stichwort: Freud über Freud

Sehr viel Talent zum Lebensgenuß kommt in den späten Jahren bei mir zum Vorschein.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 291 (Salò, 25..9.1908 an Familie Freud)


Stichwort: Freud über Freud

Der Leser verdient es nicht, daß man sich noch weiter vor ihm auskleide.

Sigmund Freud/C. G. Jung: Briefwechsel. (herausgegeben von W. McGuire und W. Sauerländer). Frankfurt/M.: Fischer 1974: 436 (Brief 235 F; Wien, 17.2. 1911)

Anmerkung: Freud reagiert hier auf die Vielzahl der von ihm veröffentlichten persönliche Träume und die Feststellung Jungs, durch unvollständige Aufklärung verbleibe eine Lücke im Verständnis des Traumes. Ich gehe davon aus, daß es nicht um die Schonung des Lesers geht, sondern die (unabdingbare) Selbstverhüllung im Sinne eines Selbstschutzes.


Stichwort: Freud über Freud (siehe auch: Kunst & Musik und Musik & Kunst)

Aber Kunstwerke üben eine starke Wirkung auf mich aus, insbesondere Dichtungen und Werke der Plastik, seltener Malereien. Ich bin so veranlaßt worden, bei den entsprechenden Gelegenheiten lange vor ihnen zu verweilen, und wollte sie auf meine Weise erfassen, d.h. mir begreiflich machen, wodurch sie wirken. Wo ich das nicht kann, z.B. in der Musik, bin ich fast genußunfähig. Eine rationalistische oder vielleicht analytische Anlage sträubt sich in mir dagegen, daß ich ergriffen sein und dabei nicht wissen solle, warum ich es bin, und was mich ergreift.

Freud, S. (1914b): Der Moses des Michelangelo. GW X: 172


Stichwort: Freud über Freud

Da ich nun längst erkannt habe, daß es das unvermeidliche Schicksal der Psychoanalyse ist, die Menschen zum Widerspruch zu reizen und zu erbittern, so habe ich für mich den Schluß gezogen, ich müßte doch von allem, was sie auszeichnet, der richtige Urheber sein.

Freud, S. (1914d): Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. GW X: 45


Stichwort: Freud über Freud

Ich wollte also mich ebenso in den Hintergrund rücken wie die Stadt, von der die Psychoanalyse ausgegangen war. Auch war ich nicht mehr jugendlich, sah einen langen Weg vor mir und empfand es als drückend, daß mir in so späten Jahren die Verpflichtung, Führer zu sein, zugefallen war. Ein Oberhaupt, meinte ich aber, müsse es geben. Ich wußte zu genau, welche Irrtümer auf jeden lauerten, der die Beschäftigung mit der Analyse unternahm, und hoffte, man könnte viele derselben ersparen, wenn man eine Autorität aufrichtete, die zur Unterweisung und Abmahnung bereit sei.

Freud, S. (1914d): Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. GW X: 85


Stichwort: Freud über Freud

Ich kann nicht Optimist sein, unterscheide mich von den Pessimisten, glaube ich, nur dadurch, daß mich das Böse, Dumme, Unsinnige nicht aus der Fassung bringt, weil ich's von vorneherein in die Zusammensetzung der Welt aufgenommen habe.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 324 (Karlsbad-Rudolfshof, 30.7.1915 an Lou Andreas-Salomé)


Stichwort: Freud über Freud

Meine Antwort würde lauten, daß ich weder selbst überzeugt bin, noch bei anderen um Glauben für sie werbe. Richtiger: ich weiß nicht, wie weit ich an sie glaube. Es scheint mir, daß das affektive Moment der Überzeugung hier gar nicht in Betracht zu kommen braucht. Man kann sich doch einem Gedankengang hingeben, ihn verfolgen, soweit er führt, nur aus wissenschaftlicher Neugierde oder, wenn man will, als advocatus diaboli, der sich darum doch nicht dem Teufel selbst verschreibt.

Freud, S. (1920g): Jenseits des Lustprinzips. GW XIII: 64

Anmerkung: Freud bezieht sich konkret auf die von ihm entwickelten Annahmen mit welchen er Licht in das Dunkel der Trieblehre bringen will – äußert aber einen Standpunkt, den er wohl grundsätzlich für seine Theorien beansprucht. Nur scheint mir hier der Wunsch (Ideal-Ich) Vater des Gedankens zu sein. Denn in der Realität beanspruchte Freud häufig einen eher absolutistischen Anspruch und 'bestrafte' abweichende Meinungen mit Ablehnung und, im schlimmsten Fall, Abwendung (vgl. seine Beziehung zu Stekel).


Stichwort: Freud über Freud (siehe auch: Religion & Judentum & Freud als Jude)

Der Todesfall, so schmerzlich er ist, findet doch keine Lebenseinstellung umzuwerfen. Jahrelang war ich auf den Verlust der Söhne gefaßt, nun kommt der der Tochter; da ich im tiefsten ungläubig bin, habe ich niemand zu beschuldigen und weiß, daß es keinen Ort gibt, wo man eine Klage anbringen könnte.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 346 (Wien, 4.2.1920 an Sándor Ferenczi)

Anmerkung: Freuds zweite Tochter Sophie, von ihm liebevoll als "Sonntagskind" bezeichnet, starb am 25. Januar 1920 mit 27 Jahren an einer schweren Grippe. 1929 schrieb Freud an Ludwig Binswanger, dessen achtjähriger Sohn 1926 verstorben war (auf der Startseite sind weitere Briefstellen zu diesem Thema zu finden):

Gerade heute wäre meine verstorbene Tochter sechsunddreißig Jahre als geworden. (…).

Man weiß, daß die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 403 (Wien, 19..11.1929 an Ludwig Binswanger)


Stichwort: Freud über Freud

Nun sind Sie auch beim sechzigsten Jahrestag angekommen, während ich, um sechs Jahre älter, der Lebensgrenze nahe gerückt bin und erwarten darf, bald das Ende vom fünften Akt dieser ziemlich unverständlichen und nicht immer amüsanten Komödie zu sehen.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 356f (Wien, 14..5.1922 an Arthur Schnitzler)


Stichwort: Freud über Freud

Ich meine, ich habe Sie gemieden aus einer Art Doppelgängerscheu.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 357 (Wien, 14.5.1922 an Arthur Schnitzler)


Stichwort: Freud über Freud

Zum Geburtstag ist eine Radierung von Schmutzer fertig geworden, die mir ausgezeichnet erscheint. Andere finden ihren Ausdruck zu streng, fast böse. Wahrscheinlich bin ich innerlich so.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 384 (Wien, 19.10.1926 an Marie Bonaparte)

Meine Freunde und Angehörigen benehmen sich entweder so, dass sie sie auf den ersten Anblick bewundern oder sie finden sie zuerst zu streng, um dann bei längerem Zusehen zuzugeben, dass sie mir immer ähnlicher wird. Mir macht sie eine ungemeine Freude und es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen für die Mühe zu danken, die Sie sich mit der Wiedergabe meines garstigen Gesichts gegeben haben und die Versicherung zu wiederholen, dass ich mich erst jetzt als aufbewahrt für die Nachwelt fühle.

Sigmund Freud (1926): Brief an Prof. Ferdinand Schmutzer (10.05.1926); Quelle: Siehe unten

Anmerkung: Es geht hier um ein Portrait Freuds, daß der österreichische Graphiker Ferdinand Schmutzer (1870-1928) 1926 anfertigte. Es ist nicht zu verwechseln mit der Radierung, die sich im Sigmund Freud Museum (Wien) befindet (Radierung um 1900), diese stammt etwa aus dem Jahr 1900. Das genannte Werk (im Privatbesitz einschließlich des in Ausschnitten zitierten Dankesschreiben fanden sich ursprünglich auf der Seite www.ferdinand-schmutzer.com (leider existiert die Seite nicht mehr, auch der Brief ist nicht online recherchierbar 8/2023)  Aus urheberrechtlichen Gründen habe ich darauf verzichtet, die beiden meisterhaften Radierungen direkt auf meiner Seite zu zeigen. Im GW findet sich die Radierung von 1926 im Band XIV, zwischen Seite 90 und 91.


Stichwort: Freud über Freud

Beim Abschied sagte Freud: »Es wäre ein Irrtum, mich als Pessimisten zu betrachten. Alle Verachtung der Welt ist mir fremd. Betonte Weltverachtung ist oft genug nichts anderes als ein Versuch, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und Beifall zu erzwingen. Nein, ich bin kein Pessimist, denn ich habe meine Kinder, meine Frau und meine Blumen.«

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4


Stichwort: Freud über Freud

Die »Selbstdarstellung« zeigt, wie die Psychoanalyse mein Lebensinhalt wird, und folgt dann der berechtigten Annahme, daß nichts, was mir persönlich begegnet ist, neben meinen Beziehungen zur Wissenschaft Interesse verdient.

Freud, S. (1935a): Nachschrift 1935 [zur »Selbstdarstellung« (1925d)]. GW XVI: 31


Stichwort: Freud über Freud (siehe auch: Religion & Judentum & Freud als Jude)

Ich mache weder im Umgang noch in meinen Schriften ein Geheimnis daraus, daß ich ein durchaus Ungläubiger bin.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 469 (London, 31.10.1938 an Charles Singer)


Stichwort: Gefühl & Intellekt

Menschenkenner und Philosophen haben uns längst belehrt, daß wir Unrecht daran tun, unsere Intelligenz als selbständige Macht zu schätzen und ihre Abhängigkeit vom Gefühlsleben zu übersehen. Unser Intellekt könne nur verläßlich arbeiten, wenn er den Einwirkungen starker Gefühlsregungen entrückt sei; im gegenteiligen Falle benehme er sich einfach wie ein Instrument zu Handen eines Willens und liefere das Resultat, das ihm von diesem aufgetragen sei. Logische Argumente seien also ohnmächtig gegen affektive Interessen, und darum sei das Streiten mit Gründen, die nach Falstaffs Wort so gemein sind wie Brombeeren, in der Welt der Interessen so unfruchtbar. Die psychoanalytische Erfahrung hat diese Behauptung womöglich noch unterstrichen. Sie kann alle Tage zeigen, daß sich die scharfsinnigsten Menschen plötzlich einsichtslos wie Schwachsinnige benehmen, sobald die verlangte Einsicht einem Gefühlswiderstand bei ihnen begegnet, aber auch alles Verständnis wieder erlangen, wenn dieser Widerstand überwunden ist.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 339


Stichwort: Gefühl & Intellekt (siehe auch: Intellekt )

Es ist unsere beste Zukunftshoffnung, daß der Intellekt – der wissenschaftliche Geist, die Vernunft – mit der Zeit die Diktatur im menschlichen Seelenleben erringen wird. Das Wesen der Vernunft bürgt dafür, daß sie dann nicht unterlassen wird, den menschlichen Gefühlsregungen und was von ihnen bestimmt wird, die ihnen gebührende Stellung einzuräumen. Aber der gemeinsame Zwang einer solchen Herrschaft der Vernunft wird sich als das stärkste einigende Band unter den Menschen erweisen und weitere Einigungen anbahnen. Was sich, wie das Denkverbot der Religion, einer solchen Entwicklung widersetzt, ist eine Gefahr für die Zukunft der Menschheit.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXV. Vorlesung: Über eine Weltanschauung). GW XV: 185


Stichwort: Geheimnis

Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, überzeugt sich, daß die Sterblichen kein Geheimnis verbergen können. Wessen Lippen schweigen, der schwätzt mit den Fingerspitzen; aus allen Poren dringt ihm der Verrat. Und darum ist die Aufgabe, das verborgenste Seelische bewußt zu machen, sehr wohl lösbar.

Freud, S. (1905e): Bruchstück einer Hysterie-Analyse. GW V: 240

Anmerkung: Freud beschäftigt sich vorausgehend mit den verschiedenen Gründen Geheimnisse in der Behandlung zu 'verheimlichen' und dann speziell mit den (sexuellen) Geheimnissen seiner Patientin 'Dora'.


Stichwort: Geld & Macht

Mit der nötigen Frechheit und Gewissenlosigkeit ist es nicht schwer, ein großes Vermögen zu erwerben, und zur Belohnung für solche Verdienste bleibt natürlich der Adel nicht aus.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 44

Anmerkung: Freud zitiert hier ein Wortspiel.


Stichwort: Geld & Macht

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Menschen gemeinhin mit falschen Maßstäben messen, Macht, Erfolg und Reichtum für sich anstreben und bei anderen bewundern, die wahren Werte des Lebens aber unterschätzen. Und doch ist man bei jedem solchen allgemeinen Urteil in Gefahr, an die Buntheit der Menschenwelt und ihres seelischen Lebens zu vergessen.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 421


Stichwort: Gerechtigkeit

Was man dann später in der Gesellschaft als Gemeingeist, esprit de corps usw. wirksam findet, verleugnet nicht seine Abkunft vom ursprünglichen Neid. Keiner soll sich hervortun wollen, jeder das gleiche sein und haben. Soziale Gerechtigkeit will bedeuten, daß man sich selbst vieles versagt, damit auch die anderen darauf verzichten müssen, oder was dasselbe ist, es nicht fordern können. Diese Gleichheitsforderung ist die Wurzel des sozialen Gewissens und des Pflichtgefühls.

Freud, S. (1921c): Massenpsychologie und Ich-Analyse: XIII: 134 (Kapitel IX: Der Herdentrieb)


Stichwort: Gerechtigkeit & Frauen (siehe auch: Frauen)

Daß man dem Weib wenig Sinn für Gerechtigkeit zuerkennen muß, hängt wohl mit dem Überwiegen des Neids in ihrem Seelenleben zusammen, denn die Gerechtigkeitsforderung ist eine Verarbeitung des Neids, gibt die Bedingung an, unter der man ihn fahren lassen kann. Wir sagen auch von den Frauen aus, daß ihre sozialen Interessen schwächer und ihre Fähigkeit zur Triebsublimierung geringer sind als die der Männer.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXIII. Vorlesung: Die Weiblichkeit). GW XV: 144


Stichwort: Gesellschaft

Die Gesellschaft wird sich nicht beeilen, uns Autorität einzuräumen. Sie muß sich im Widerstande gegen uns befinden, denn wir verhalten uns kritisch gegen sie; wir weisen ihr nach, daß sie an der Verursachung der Neurosen selbst einen großen Anteil hat. Wie wir den einzelnen durch die Aufdeckung des in ihm Verdrängten zu unserem Feinde machen, so kann auch die Gesellschaft die rücksichtslose Bloßlegung ihrer Schäden und Unzulänglichkeiten nicht mit sympathischem Entgegenkommen beantworten; weil wir Illusionen zerstören, wirft man uns vor, daß wir die Ideale in Gefahr bringen 

Freud, S. (1910d): Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie. GW VIII: 111


Stichwort: Gesundheit & Krankheit (siehe auch: Therapieziele)

Man darf aber dabei nicht vergessen, daß ein solcher Idealzustand auch beim normalen Menschen nicht besteht, und daß man nur selten in die Lage kommen kann, die Behandlung annähernd so weit zu treiben. So wie Gesundheit und Krankheit nicht prinzipiell geschieden, sondern nur durch eine praktisch bestimmbare Summationsgrenze gesondert sind, so wird man sich auch nie etwas anderes zum Ziel der Behandlung setzen als die praktische Genesung des Kranken, die Herstellung seiner Leistungs- und Genußfähigkeit.

Freud, S. (1904a): Die Freudsche psychoanalytische Methode. GW V: 8


Stichwort: Gesundheit & Krankheit (siehe auch: Therapieziele)

Die Grenze aber zwischen den normal und krankhaft benannten Seelenzuständen ist zum Teil eine konventionelle, zum anderen eine so fließende, daß wahrscheinlich jeder von uns sie im Laufe eines Tages mehrmals überschreitet.

Freud, S. (1907a): Der Wahn und die Träume in W. Jensens »Gradiva«. GW VII: 70


Stichwort: Gesundheit & Krankheit (siehe auch: Therapieziele)

Wir glauben nicht mehr, daß Gesundheit und Krankheit, Normale und Nervöse, scharf voneinander zu sondern sind, und daß neurotische Züge als Beweise einer allgemeinen Minderwertigkeit beurteilt werden müssen. Wir wissen heute, daß die neurotischen Symptome Ersatzbildungen für gewisse Verdrängungsleistungen sind, welche wir im Laufe unserer Entwicklung vom Kinde bis zum Kulturmenschen zu vollbringen haben, daß wir alle solche Ersatzbildungen produzieren, und daß nur die Anzahl, Intensität und Verteilung dieser Ersatzbildungen den praktischen Begriff des Krankseins und den Schluß auf konstitutionelle Minderwertigkeit rechtfertigen.

Freud, S. (1910c): Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci. GW VIII: 203f


Stichwort: Gesundheit & Krankheit (siehe auch: Therapieziele)

Der Unterschied zwischen nervöser Gesundheit und Neurose schränkt sich also aufs Praktische ein und bestimmt sich nach dem Erfolg, ob der Person ein genügendes Maß von Genuß- und Leistungsfähigkeit verblieben ist.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 476


Stichwort: Gesundheit & Krankheit (siehe auch: Therapieziele)

Im Moment, da man nach dem Sinn und Wert des Lebens fragt, ist man krank, denn beides gibt es ja in objektiver Weise nicht; man hat nur eingestanden, daß man einen Vorrat von unbefriedigter Libido hat, und irgend etwas anderes muß damit vorgefallen sein, eine Art Gärung, die zur Trauer und Depression führt.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 452 (Grinzing, 13.8.1937 an Marie Bonaparte)


Stichwort: Gewissen (siehe auch: Kultur und Zivilisation)

(…) unser Gewissen ist nicht der unbeugsame Richter, für den die Ethiker es ausgeben, es ist in seinem Ursprunge »soziale Angst« und nichts anderes. Wo die Gemeinschaft den Vorwurf aufhebt, hört auch die Unterdrückung der bösen Gelüste auf, und die Menschen begehen Taten von Grausamkeit, Tücke, Verrat und Roheit, deren Möglichkeit man mit ihrem kulturellen Niveau für unvereinbar gehalten hätte.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 330


Stichwort: Gewissen

Solange es dem Menschen gut geht, ist auch sein Gewissen milde und läßt dem Ich allerlei angehen; wenn ihn ein Unglück getroffen hat, hält er Einkehr in sich, erkennt seine Sündhaftigkeit, steigert seine Gewissensansprüche, legt sich Enthaltungen auf und bestraft sich durch Bußen.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 485


Stichwort: Gewissen

Das Gewissen ist die Folge des Triebverzichts; oder: Der (uns von außen auferlegte) Triebverzicht schafft das Gewissen, das dann weiteren Triebverzicht fordert.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 488


Stichwort: Glaube & Religion

Ich will hinzufügen, ich habe gar keine Angst vor dem lieben Gott. Wenn wir einander einmal begegneten, hätte ich ihm mehr Vorwürfe zu machen, als er an mir aussetzen könnte. Ich würde ihn fragen, warum er mich nicht intellektuell besser ausgestattet hat, und er könnte mir nicht vorhalten, daß ich von meiner angeblichen Freiheit nicht den besten Gebrauch gemacht habe.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 320f (Wien, 8.7.1915 an James J. Putnam)


Stichwort: Glück (siehe auch: Kindheit & Glück)

Man gewöhnt sich allmählich an eine neue Einsicht in das Wesen des »Glücks«. Glück ist dann anzunehmen, wenn das Schicksal nicht alle seine Drohungen gleich verwirklicht.

Freud, S. (1888): Briefe an Wilhelm Fließ (1887 – 1904), hrsg. von J. M. Masson (Deutsche Fassung: M. Schröter). Frankfurt/M.: S. Fischer 1986: 484 (Brief 266: Wien, 24.3.1901)


Stichwort: Glück (siehe auch: Kindheit & Glück)

Es gibt hier keinen Rat, der für alle taugt; ein jeder muß selbst versuchen, auf welche besondere Fasson er selig werden kann.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 442

Anmerkung: Freud bezieht sich hier auf das Lustprinzip:

Das Programm, welches uns das Lustprinzip aufdrängt, glücklich zu werden, ist nicht zu erfüllen, doch darf man – nein, kann man – die Bemühungen, es irgendwie der Erfüllung näherzubringen, nicht aufgeben. Man kann sehr verschiedene Wege dahin einschlagen, entweder den positiven Inhalt des Ziels, den Lustgewinn, oder den negativen, die Unlustvermeidung, voranstellen. Auf keinem dieser Wege können wir alles, was wir begehren, erreichen. Das Glück in jenem ermäßigten Sinn, in dem es als möglich erkannt wird, ist ein Problem der individuellen Libidoökonomie.


Stichwort: Glück (siehe auch: Kindheit & Glück)

Das Glück ist aber etwas durchaus Subjektives.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 448


Stichwort: Glück & Unglück (siehe auch: Kindheit & Glück)

(…); man möchte sagen, die Absicht, daß der Mensch »glücklich« sei, ist im Plan der »Schöpfung« nicht enthalten. Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich. Jede Fortdauer einer vom Lustprinzip ersehnten Situation ergibt nur ein Gefühl von lauem Behagen; wir sind so eingerichtet, daß wir nur den Kontrast intensiv genießen können, den Zustand nur sehr wenig. [1] Somit sind unsere Glücksmöglichkeiten schon durch unsere Konstitution beschränkt. Weit weniger Schwierigkeiten hat es, Unglück zu erfahren.

[1] Goethe mahnt sogar: »Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen«. Das mag immerhin eine Übertreibung sein.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 434


Stichwort: Glück & Unglück (siehe auch: Kindheit & Glück)

Weit weniger Schwierigkeiten hat es, Unglück zu erfahren. Von drei Seiten droht das Leiden, vom eigenen Körper her, der, zu Verfall und Auflösung bestimmt, sogar Schmerz und Angst als Warnungssignale nicht entbehren kann, von der Außenwelt, die mit übermächtigen, unerbittlichen, zerstörenden Kräften gegen uns wüten kann, und endlich aus den Beziehungen zu anderen Menschen. Das Leiden, das aus dieser Quelle stammt, empfinden wir vielleicht schmerzlicher als jedes andere; wir sind geneigt, es als eine gewissermaßen überflüssige Zutat anzusehen, obwohl es nicht weniger schicksalsmäßig unabwendbar sein dürfte als das Leiden anderer Herkunft.

Kein Wunder, wenn unter dem Druck dieser Leidensmöglichkeiten die Menschen ihren Glücksanspruch zu ermäßigen pflegen, wie ja auch das Lustprinzip selbst sich unter dem Einfluß der Außenwelt zum bescheideneren Realitätsprinzip umbildete, wenn man sich bereits glücklich preist, dem Unglück entgangen zu sein, das Leiden überstanden zu haben, wenn ganz allgemein die Aufgabe der Leidvermeidung die der Lustgewinnung in den Hintergrund drängt.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 434


Stichwort: Glück & Unglück (siehe auch: Kindheit & Glück)

Gewollte Vereinsamung, Fernhaltung von den anderen ist der nächstliegende Schutz gegen das Leid, das einem aus menschlichen Beziehungen erwachsen kann. Man versteht: das Glück, das man auf diesem Weg erreichen kann, ist das der Ruhe. Gegen die gefürchtete Außenwelt kann man sich nicht anders als durch irgendeine Art der Abwendung verteidigen, wenn man diese Aufgabe für sich allein lösen will.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 434


Stichwort: Glück & Unglück (siehe auch: Kindheit & Glück)

Niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben, niemals hilfloser unglücklich, als wenn wir das geliebte Objekt oder seine Liebe verloren haben.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 441


Stichwort: Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit

Tragen wir noch etwas Allgemeines nach, was (…) einer besonderen Hervorhebung würdig scheint, daß es nämlich oft und leicht unheimlich wirkt, wenn die Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit verwischt wird, wenn etwas real vor uns hintritt, was wir bisher für phantastisch gehalten haben, wenn ein Symbol die volle Leistung und Bedeutung des Symbolisierten übernimmt und dergleichen mehr. Hierauf beruht auch ein gutes Stück der Unheimlichkeit, die den magischen Praktiken anhaftet.

Freud, S. (1919h): Das Unheimliche. GW XII: 258


Stichwort: Grundprinzipien psychoanalytischen Arbeitens

Ich habe mir so geholfen, daß ich auf alle bewußte Gedankenarbeit verzichtet habe, um nur mit einem dunklen Takt weiter in den Rätseln zu tappen. Seitdem mache ich die Arbeit, vielleicht geschickter als je, aber ich weiß nicht recht, was ich mache. Ich könnte nicht Auskunft geben, wie die Sache steht. In den Stunden, die ich übrig habe, sorge ich dafür, nicht zur Reflexion zu kommen.

Freud, S. (1900): Briefe an Wilhelm Fließ (1887 – 1904), hrsg. von J. M. Masson (Deutsche Fassung: M. Schröter). Frankfurt/M.: S. Fischer 1986: 442f (Brief 239: Wien, 11.3.1900)


Stichwort: Grundprinzipien psychoanalytischen Arbeitens

Die Regel für den Arzt läßt sich so aussprechen: Man halte alle bewußten Einwirkungen von seiner Merkfähigkeit ferne und überlasse sich völlig seinem »unbewußten Gedächtnisse«, oder rein technisch ausgedrückt: Man höre zu und kümmere sich nicht darum, ob man sich etwas merke.

Was man auf diese Weise bei sich erreicht, genügt allen Anforderungen während der Behandlung. Jene Bestandteile des Materials, die sich bereits zu einem Zusammenhange fügen, werden für den Arzt auch bewußt verfügbar; das andere, noch zusammenhanglose, chaotisch ungeordnete, scheint zunächst versunken, taucht aber bereitwillig im Gedächtnisse auf, sobald der Analysierte etwas Neues vorbringt, womit es sich in Beziehung bringen und wodurch es sich fortsetzen kann.

Freud, S. (1912e): Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung. GW VIII: 378


Stichwort: Grundprinzipien psychoanalytischen Arbeitens

Es ist nicht gut, einen Fall wissenschaftlich zu bearbeiten, solange seine Behandlung noch nicht abgeschlossen ist, seinen Aufbau zusammenzusetzen, seinen Fortgang erraten zu wollen, von Zeit zu Zeit Aufnahmen des gegenwärtigen Status zu machen, wie das wissenschaftliche Interesse es fordern würde. Der Erfolg leidet in solchen Fällen, die man von vornherein der wissenschaftlichen Verwertung bestimmt und nach deren Bedürfnissen behandelt; dagegen gelingen jene Fälle am besten, bei denen man wie absichtslos verfährt, sich von jeder Wendung überraschen läßt, und denen man immer wieder unbefangen und voraussetzungslos entgegentritt. Das richtige Verhalten für den Analytiker wird darin bestehen, sich aus der einen psychischen Einstellung nach Bedarf in die andere zu schwingen, nicht zu spekulieren und zu grübeln, solange er analysiert, und erst dann das gewonnene Material der synthetischen Denkarbeit zu unterziehen, nachdem die Analyse abgeschlossen ist.

Freud, S. (1912e): Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung. GW VIII: 380


Stichwort: Heilung  (siehe auch: Behandlungsziel & Psychoanalyse)

Der geheilte Nervöse ist wirklich ein anderer Mensch geworden, im Grunde ist er aber natürlich derselbe geblieben, d.h. er ist so geworden, wie er bestenfalls unter den günstigsten Bedingungen hätte werden können. Aber das ist sehr viel. Wenn Sie dann hören, was man alles tun muß und welcher Anstrengung es bedarf, um jene anscheinend geringfügige Veränderung in seinem Seelenleben durchzusetzen, wird Ihnen die Bedeutung eines solchen Unterschiedes im psychischen Niveau wohl glaubhaft erscheinen.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 452


Stichwort: Heterosexualität

Im Sinne der Psychoanalyse ist also auch das ausschließliche sexuelle Interesse des Mannes für das Weib ein der Aufklärung bedürftiges Problem und keine Selbstverständlichkeit, der eine im Grunde chemische Anziehung zu unterlegen ist.

Freud, S. (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW V: 44 Fn 1


Stichwort: Homosexualität

Die psychoanalytische Forschung widersetzt sich mit aller Entschiedenheit dem Versuche, die Homosexuellen als eine besonders geartete Gruppe von den anderen Menschen abzutrennen. Indem sie auch andere als die manifest kundgegebenen Sexualerregungen studiert, erfährt sie, daß alle Menschen der gleichgeschlechtlichen Objektwahl fähig sind und dieselbe auch im Unbewußten vollzogen haben. Ja die Bindungen libidinöser Gefühle an Personen des gleichen Geschlechtes spielen als Faktoren im normalen Seelenleben keine geringere, und als Motoren der Erkrankung eine größere Rolle als die, welche dem entgegengesetzten Geschlecht gelten. Der Psychoanalyse erscheint vielmehr die Unabhängigkeit der Objektwahl vom Geschlecht des Objektes, die gleich freie Verfügung über männliche und weibliche Objekte, wie sie im Kindesalter, in primitiven Zuständen und frühhistorischen Zeiten zu beobachten ist, als das Ursprüngliche, aus dem sich durch Einschränkung nach der einen oder der anderen Seite der normale wie der Inversionstypus entwickeln.

Freud, S. (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW V: 44 Fn 1

Anmerkung: Freud spicht im Zusammenhang von Homosexualität von "Inversion" (1905d, GW v: 34ff) und unterscheidet eine angeborene und eine (ggf. später) erworbene Form, vermutet aber, diese Alternative (angeboren-erworben) sei entweder unvollständig oder decke sich nicht mit den bei der Inversion vorliegenden Verhältnisses (39).


Stichwort: Homosexualität

Sehr geehrte Frau ...

Ich entnehme Ihrem Brief, daß Ihr Sohn ein Homosexueller ist. Den stärksten Eindruck machte mir die Tatsache, daß Sie dieses Wort in Ihrem Bericht über ihn nicht selber gebrauchen. Darf ich Sie fragen, warum Sie es vermeiden? Homosexualität ist gewiß kein Vorzug, aber es ist nicht etwas, dessen man sich schämen muß, kein Laster, keine Erniedrigung und kann nicht als Krankheit bezeichnet werden; wir betrachten sie als eine Abweichung der sexuellen Funktionen, hervorgerufen durch eine gewisse Stockung der sexuellen Entwicklung. Viele hochachtbare Personen in alten und neuem Zeiten sind Homosexuelle gewesen, unter ihnen viele der größten Männer (Plato, Michelangelo, Leonardo da Vinci, et cetera). Es ist eine große Ungerechtigkeit, Homosexualität als ein Verbrechen zu verfolgen und auch eine Grausamkeit. Wenn Sie mir nicht glauben, lesen Sie die Bücher von Havelock Ellis.

Mit Ihrer Frage, ob ich helfen kann, meinen Sie wohl, ob ich Homosexualität abschaffen kann und normale Heterosexualität an ihre Stelle setzen. Die Antwort ist, allgemein gesagt, daß wir dies nicht versprechen können. In einer gewissen Anzahl von Fällen gelingt es uns, die verkümmerten Keime der heterosexuellen Tendenzen, die ja in allen Homo-sexuellen vorhanden sind, zu entwickeln, in der Mehrzahl der Fälle ist dies nicht mehr möglich. Es ist eine Frage der Charakterbeschaffenheit und des Alters der betreffenden Person. Der Erfolg der Behandlung kann nicht vorausgesagt werden.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: , Übersetzung: 520f (Wien, 9.04.1935 an Mrs. ...); Original in englisch: 438, deutsche Übersetzung: 520 f

Anmerkung: Es ist schon beeindrucken, hier die Ambivalenz Freuds in einem Brief zu sehen. Er sieht Homosexualität nicht als Krankheit, dann aber doch ausgelöst durch eine "gewisse Stockung der sexuellen Entwicklung", die auch behandelbar sei - wenn auch nicht immer erfolgreich.


Stichwort: Humor (siehe auch: Witz)

Den kleinen Humor, den wir etwa selbst in unserem Leben aufbringen, produzieren wir in der Regel auf Kosten des Ärgers, anstatt uns zu ärgern.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 264

Anmerkung: In einer Fußnote führt Freud als Beispiele die Figur "des dicken Ritters Sir John Falstaff" und des "geistreiche[n] Ritter[s] Don Quijote de la Mancha" an.


Stichwort: Humor (siehe auch: Witz)

Im ganzen steht der Humor dem Komischen näher als dem Witz.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 267


Stichwort: Humor (siehe auch: Witz)

Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes wie der Witz und die Komik, sondern auch etwas Großartiges und Erhebendes, welche Züge an den beiden anderen Arten des Lustgewinns aus intellektueller Tätigkeit nicht gefunden werden. Das Großartige liegt offenbar im Triumph des Narzißmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs.(...) Der Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten vermag.

Freud, S. (1927d): Der Humor. GW XIV: 385


Stichwort: Humor (siehe auch: Witz)

Übrigens sind nicht alle Menschen der humoristischen Einstellung fähig, es ist eine köstliche und seltene Begabung und vielen fehlt selbst die Fähigkeit, die ihnen vermittelte humoristische Lust zu genießen.

Freud, S. (1927d): Der Humor. GW XIV: 389


Stichwort: Ich, Es & Über-Ich

Das ich spielt doch die Rolle des dummen August im Zirkus, der überall seinen Kren [Senf] dazu gibt, damit die Zuschauer glauben, er ordne alles an, was da vor sich geht.

Sigmund Freud/C. G. Jung: Briefwechsel. (herausgegeben von W. McGuire und W. Sauerländer). Frankfurt/M.: Fischer 1974: 442 (Brief 238 F; Wien, 1./3.3. 1911)


Stichwort: Ich, Es & Über-Ich (siehe auch: Religion & Christentum)

Es ist leicht zu zeigen, daß das Ichideal allen Ansprüchen genügt, die an das höhere Wesen im Menschen gestellt werden. Als Ersatzbildung für die Vatersehnsucht enthält es den Keim, aus dem sich alle Religionen gebildet haben. Das Urteil der eigenen Unzulänglichkeit im Vergleich des Ichs mit seinem Ideal ergibt das demütige religiöse Empfinden, auf das sich der sehnsüchtig Gläubige beruft. Im weiteren Verlauf der Entwicklung haben Lehrer und Autoritäten die Vaterrolle fortgeführt; deren Gebote und Verbote sind im Ideal-Ich mächtig geblieben und üben jetzt als Gewissen die moralische Zensur aus. Die Spannung zwischen den Ansprüchen des Gewissens und den Leistungen des Ichs wird als Schuldgefühl empfunden. Die sozialen Gefühle ruhen auf Identifizierungen mit anderen auf Grund des gleichen Ichideals.

Freud, S. (1923b): Das Ich und das Es. GW XIII: 265


Stichwort: Ich, Es & Über-Ich

Die Spannung zwischen dem gestrengen Über-Ich und dem ihm unterworfenen Ich heißen wir Schuldbewußtsein; sie äußert sich als Strafbedürfnis. Die Kultur bewältigt also die gefährliche Aggressionslust des Individuums, indem sie es schwächt, entwaffnet und durch eine Instanz in seinem Inneren, wie durch eine Besatzung in der eroberten Stadt, überwachen läßt.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 483


Stichwort: Ich, Es & Über-Ich

Das Über-Ich ist eine von uns erschlossene Instanz, das Gewissen eine Funktion, die wir ihm neben anderen zuschreiben, die die Handlungen und Absichten des Ichs zu überwachen und zu beurteilen hat, eine zensorische Tätigkeit ausübt.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 496


Stichwort: Illusionen

Illusionen empfehlen sich uns dadurch, daß sie Unlustgefühle ersparen und uns an ihrer Statt Befriedigungen genießen lassen. Wir müssen es dann ohne Klage hinnehmen, daß sie irgend einmal mit einem Stücke der Wirklichkeit zusammenstoßen, an dem sie zerschellen.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 331


Stichwort: Indikation & Erkrankungen (siehe auch: Psychose)

Psychosen, Zustände von Verworrenheit und tiefgreifender (ich möchte sagen: toxischer) Verstimmung sind also für die Psychoanalyse, wenigstens wie sie bis jetzt ausgeübt wird, ungeeignet. Ich halte es für durchaus nicht ausgeschlossen, daß man bei geeigneter Abänderung des Verfahrens sich über diese Gegenindikation hinaussetzen und so eine Psychotherapie der Psychosen in Angriff nehmen könne.

Freud, S. (1905a): Über Psychotherapie. GW V: 21


Stichwort: Intellekt (siehe auch: Gefühl & Intellekt)

Wir mögen noch so oft betonen, der menschliche Intellekt sei kraftlos im Vergleich zum menschlichen Triebleben, und Recht damit haben. Aber es ist doch etwas Besonderes um diese Schwäche; die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör geschafft hat. Am Ende, nach unzählig oft wiederholten Abweisungen, findet sie es doch. Dies ist einer der wenigen Punkte, in denen man für die Zukunft der Menschheit optimistisch sein darf, aber er bedeutet an sich nicht wenig.

Freud, S. (1927c): Die Zukunft einer Illusion. GW XIV: 377


Stichwort: Intellekt (siehe auch: Gefühl & Intellekt)

Es ist unsere beste Zukunftshoffnung, daß der Intellekt – der wissenschaftliche Geist, die Vernunft – mit der Zeit die Diktatur im menschlichen Seelenleben erringen wird. Das Wesen der Vernunft bürgt dafür, daß sie dann nicht unterlassen wird, den menschlichen Gefühlsregungen und was von ihnen bestimmt wird, die ihnen gebührende Stellung einzuräumen. Aber der gemeinsame Zwang einer solchen Herrschaft der Vernunft wird sich als das stärkste einigende Band unter den Menschen erweisen und weitere Einigungen anbahnen. Was sich, wie das Denkverbot der Religion, einer solchen Entwicklung widersetzt, ist eine Gefahr für die Zukunft der Menschheit.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXV. Vorlesung: Über eine Weltanschauung). GW XV: 185


Stichwort: Kindheit & Glück (siehe auch: Glück sowie Glück & Unglück)

Wenn wir die Kindheit glücklich preisen, weil sie die sexuelle Begierde noch nicht kennt, so wollen wir nicht verkennen, eine wie reiche Quelle der Enttäuschung, Entsagung und damit der Traumanregung der andere der großen Lebenstriebe für sie werden kann.[1]

[1] Eingehendere Beschäftigung mit dem Seelenleben der Kinder belehrt uns freilich, daß sexuelle Triebkräfte in infantiler Gestaltung in der psychischen Tätigkeit des Kindes eine genügend große, nur zu lange übersehene Rolle spielen, und läßt uns an dem Glücke der Kindheit, wie die Erwachsenen es späterhin konstruieren, einigermaßen zweifeln.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 136


Stichwort: Kindheit & Glück (siehe auch: Glück sowie Glück & Unglück)

Glück ist die nachträgliche Erfüllung eines prähistorischen Wunsches. Darum macht Reichtum so wenig glücklich; Geld ist kein Kinderwunsch gewesen.

Freud, S. (1888): Briefe an Wilhelm Fließ (1887 – 1904), hrsg. von J. M. Masson (Deutsche Fassung: M. Schröter). Frankfurt/M.: S. Fischer 1986: 320 (Brief 154: Wien, 16.1.1898)


Stichwort: Kindheitserinnerungen

Vielleicht ist es überhaupt zweifelhaft, ob wir bewußte Erinnerungen aus der Kindheit haben, oder nicht vielmehr bloß an die Kindheit. Unsere Kindheitserinnerungen zeigen uns die ersten Lebensjahre, nicht wie sie waren, sondern wie sie späteren Erweckungszeiten erschienen sind. Zu diesen Zeiten der Erweckung sind die Kindheitserinnerungen nicht, wie man zu sagen gewohnt ist, aufgetaucht, sondern sie sind damals gebildet worden, und eine Reihe von Motiven, denen die Absicht historischer Treue fern liegt, hat diese Bildung sowie die Auswahl der Erinnerungen mitbeeinflußt.

Freud, S. (1899a): Über Deckerinnerungen: GW I: 553f


Stichwort: Krankheit (siehe auch: Alter)

Die einzige Angst, die ich wirklich habe,  ist die vor einem längeren Siechtum ohne Arbeitsmöglichkeit. Direkter gesagt: ohne Erwerbsmöglichkeit. (...) Sie werden verstehen, daß ich dieser Konstellation: drohende Arbeitsunfähigkeit durch schlechte Sprache, abnehmendes Gehör und intellektuelle Unlust, dem Herzen gar nicht böse sein kann, die Herzaffektion eröffnet doch Aussichten auf einen nicht zu verzögerten und nicht zu kläglichen Abschluß.

Sigmund Freud/MaxEitington: Brief v. 19.03.1926; zit. nach Jones, E. (1984 [1962]): Sigmund Freud. Leben und Werk. Band 3. München: dtv: 148


Stichwort: Krankheit & Leben & Sinn (siehe auch: Leben & Sinn & Krankheit)

Im Moment, da man nach Sinn und Wert des Lebens fragt, ist man krank, denn beides gibt es ja in objektiver Weise nicht; man hat nur eingestanden, daß man einen Vorrat von unbefriedigter Libido hat, und irgend etwas anderes muß damit vorgefallen sein, eine Art Gärung, die zur Trauer und Depression führt. Großartig sind diese meine Aufklärungen gewiß nicht. Vielleicht weil ich selbst zu pessimistisch bin. Mir geht ein ›advertisement‹ im Kopf herum, das ich für das kühnste und gelungenste Stück amerikanischer Reklame halte:
»Why live, if you can be buried for ten Dollars?«

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 452 (Grinzing, 13.09.1937 an Marie Bonaparte)


Stichwort: Krieg

Indem wir den Feind klein, niedrig, verächtlich, komisch machen, schaffen wir uns auf einem Umwege den Genuß seiner Überwindung, den uns der Dritte, der keine Mühe aufgewendet hat, durch sein Lachen bezeugt.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 112


Stichwort: Krieg

Der kriegführende Staat gibt sich jedes Unrecht, jede Gewalttätigkeit frei, die den Einzelnen entehren würde. Er bedient sich nicht nur der erlaubten List, sondern auch der bewußten Lüge und des absichtlichen Betruges gegen den Feind, und dies zwar in einem Maße, welches das in früheren Kriegen Gebräuchliche zu übersteigen scheint.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 329f


Stichwort: Krieg

Die psychoanalytische Erfahrung (...) kann alle Tage zeigen, daß sich die scharfsinnigsten Menschen plötzlich einsichtslos wie Schwachsinnige benehmen, sobald die verlangte Einsicht einem Gefühlswiderstand bei ihnen begegnet, aber auch alles Verständnis wieder erlangen, wenn dieser Widerstand überwunden ist.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 339


Stichwort: Krieg

Der Krieg ist aber nicht abzuschaffen; solange die Existenzbedingungen der Völker so verschieden und die Abstoßungen unter ihnen so heftig sind, wird es Kriege geben müssen.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 354


Stichwort: Krieg

Das Leben zu ertragen, bleibt ja doch die erste Pflicht aller Lebenden. Die Illusion wird wertlos, wenn sie uns darin stört.

Wir erinnern uns des alten Spruches: Si vis pacem, para bellum. Wenn du den Frieden erhalten willst, so rüste zum Kriege.

Es wäre zeitgemäß, ihn abzuändern: Si vis vitam, para mortem. Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 354f


Stichwort: Krieg

Recht und Gewalt sind uns heute Gegensätze. Es ist leicht zu zeigen, daß sich das eine aus dem anderen entwickelt hat, und wenn wir auf die Uranfänge zurückgehen und nachsehen, wie das zuerst geschehen ist, so fällt uns die Lösung des Problems mühelos zu. (…)

Interessenkonflikte unter den Menschen werden also prinzipiell durch die Anwendung von Gewalt entschieden. So ist es im ganzen Tierreich, von dem der Mensch sich nicht ausschließen sollte; für den Menschen kommen allerdings noch Meinungskonflikte hinzu, die bis zu den höchsten Höhen der Abstraktion reichen und eine andere Technik der Entscheidung zu fordern scheinen.

Freud, S. (1933b): Warum Krieg? GW XVI: 14


Stichwort: Krieg

Es ist ein Stück der angeborenen und nicht zu beseitigenden Ungleichheit der Menschen, daß sie in Führer und in Abhängige zerfallen. Die letzteren sind die übergroße Mehrheit, sie bedürfen einer Autorität, welche für sie Entscheidungen fällt, denen sie sich meist bedingungslos unterwerfen.

Freud, S. (1933b): Warum Krieg? GW XVI: 24


Stichwort: Krieg

Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.

Freud, S. (1933b): Warum Krieg? GW XVI: 27


Stichwort: Krieg & Frieden

Natürlich sind auch wir für das bißchen Frieden dankbar, aber freuen können wir uns nicht damit.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 468 (Maresfield Gardens - London, 4.10.1938 an Marie Bonaparte)


Stichwort: Kryptomnesie

Umsomehr mußte es mich erfreuen, als ich unlängst unsere Theorie bei einem der großen Denker der griechischen Frühzeit wiederfand. Ich opfere dieser Bestätigung gern das Prestige der Originalität, zumal da ich bei dem Umfang meiner Lektüre in früheren Jahren doch nie sicher werden kann, ob meine angebliche Neuschöpfung nicht eine Leistung der Kryptomnesie war.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 90f

Anmerkung: Es geht mir hier nicht um den inhatlichen Zusammenhang, sondern die (weise) Einsicht Freuds, daß (auch seine) Originalität relativ ist und immer im Zusammenhang der Werke und Gedanken anderer DenkerInnen und AutorInnen zu sehen ist. Mit diesem Phänomen hat sich der Erkenntnistheoretiker Thomas S. Kuhn ausführlich beschäftigt. Er weist darauf hin, das das Entdecken eines neuen Phänomens "notwendigerweise ein komplexes Ereignis [ist], zu dem sowohl die Erkenntnis gehört, daß etwas ist, als auch was es ist. (...) Wenn aber Beobachtung und Begriffsbildung, Tatsache und Einordnung in die Theorie bei der Entdeckung untrennbar verbunden sind, dann ist die Entdeckung ein Prozeß und muß Zeit beanspruchen. (Kuhn 1962/1976: 68). In Sinne Kuhns möchte ich die Psychoanalyse als epistemologischen Paradimenwechsel und damit eine wissenschaftliche Revolution bezeichnen.

Kuhn, Thomas S. (1962): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Zweite revidierte Aufl. 1973; siehe auch:

Kuhn, Thomas S. (1978): Die Entstehung des Neuen. Frankfurt/M.: Suhrkamp


Stichwort: Kultur

Die Erfahrung lehrt, daß es für die meisten Menschen eine Grenze gibt, über die hinaus ihre Konstitution der Kulturanforderung nicht folgen kann. Alle, die edler sein wollen, als ihre Konstitution es ihnen gestattet, verfallen der Neurose; sie hätten sich wohler befunden, wenn es ihnen möglich geblieben wäre, schlechter zu sein.

Freud, S. (1908d): Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität. GW VII: 154


Stichwort: Kultur (siehe auch: Gewissen und Zivilisation)

(…) unser Gewissen ist nicht der unbeugsame Richter, für den die Ethiker es ausgeben, es ist in seinem Ursprunge »soziale Angst« und nichts anderes. Wo die Gemeinschaft den Vorwurf aufhebt, hört auch die Unterdrückung der bösen Gelüste auf, und die Menschen begehen Taten von Grausamkeit, Tücke, Verrat und Roheit, deren Möglichkeit man mit ihrem kulturellen Niveau für unvereinbar gehalten hätte.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 330


Stichwort: Kultur

Der Mensch ist eben ein »unermüdlicher Lustsucher« – ich weiß nicht mehr, bei welchem Autor ich diesen glücklichen Ausdruck gefunden habe – und jeder Verzicht auf eine einmal genossene Lust wird ihm sehr schwer.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 142


Stichwort: Kultur

Unsere Kultur ist ganz allgemein auf der Unterdrückung von Trieben aufgebaut. Jeder einzelne hat ein Stück seines Besitzes, seiner Machtvollkommenheit, der aggressiven und vindikativen Neigungen seiner Persönlichkeit abgetreten; aus diesen Beiträgen ist der gemeinsame Kulturbesitz an materiellen und ideellen Gütern entstanden. Außer der Lebensnot sind es wohl die aus der Erotik abgeleiteten Familiengefühle, welche die einzelnen Individuen zu diesem Verzichte bewogen haben.

Freud, S. (1908d): Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität. GW VII: 149f


Stichwort: Kultur

Wir glauben, die Kultur ist unter dem Antrieb der Lebensnot auf Kosten der Triebbefriedigung geschaffen worden, und sie wird zum großen Teil immer wieder von neuem erschaffen, indem der Einzelne, der neu in die menschliche Gemeinschaft eintritt, die Opfer an Triebbefriedigung zu Gunsten des Ganzen wiederholt. Unter den so verwendeten Triebkräften spielen die der Sexualregungen eine bedeutsame Rolle; sie werden dabei sublimiert, d.h. von ihren sexuellen Zielen abgelenkt und auf sozial höherstehende, nicht mehr sexuelle, gerichtet. Dieser Aufbau ist aber labil, die Sexualtriebe sind schlecht gebändigt, es besteht bei jedem Einzelnen, der sich dem Kulturwerk anschließen soll, die Gefahr, daß sich seine Sexualtriebe dieser Verwendung weigern.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 15f


Stichwort: Kultur

Es scheint festzustehen, daß wir uns in unserer heutigen Kultur nicht wohlfühlen, aber es ist sehr schwer, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob und inwieweit die Menschen früherer Zeiten sich glücklicher gefühlt haben und welchen Anteil ihre Kulturbedingungen daran hatten.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 447f


Stichwort: Kultur

Als letzten, gewiß nicht unwichtigsten Charakterzug einer Kultur haben wir zu würdigen, in welcher Weise die Beziehungen der Menschen zueinander, die sozialen Beziehungen, geregelt sind, die den Menschen als Nachbarn, als Hilfskraft, als Sexualobjekt eines anderen, als Mitglied einer Familie, eines Staates betreffen. Es wird hier besonders schwer, sich von bestimmten Idealforderungen frei zu halten und das, was überhaupt kulturell ist, zu erfassen. Vielleicht beginnt man mit der Erklärung, das kulturelle Element sei mit dem ersten Versuch, diese sozialen Beziehungen zu regeln, gegeben. Unterbliebe ein solcher Versuch, so wären diese Beziehungen der Willkür des Einzelnen unterworfen, d.h. der physisch Stärkere würde sie im Sinne seiner Interessen und Triebregungen entscheiden. Daran änderte sich nichts, wenn dieser Stärkere seinerseits einen einzelnen noch Stärkeren fände. Das menschliche Zusammenleben wird erst ermöglicht, wenn sich eine Mehrheit zusammenfindet, die stärker ist als jeder Einzelne und gegen jeden Einzelnen zusammenhält. Die Macht dieser Gemeinschaft stellt sich nun als »Recht« der Macht des Einzelnen, die als »rohe Gewalt« verurteilt wird, entgegen. Diese Ersetzung der Macht des Einzelnen durch die der Gemeinschaft ist der entscheidende kulturelle Schritt. Ihr Wesen besteht darin, daß sich die Mitglieder der Gemeinschaft in ihren Befriedigungsmöglichkeiten beschränken, während der Einzelne keine solche Schranke kannte. Die nächste kulturelle Anforderung ist also die der Gerechtigkeit, d.h. die Versicherung, daß die einmal gegebene Rechtsordnung nicht wieder zu Gunsten eines Einzelnen durchbrochen werde.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 454f


Stichwort: Kultur

Die Triebsublimierung ist ein besonders hervorstechender Zug der Kulturentwicklung, sie macht es möglich, daß höhere psychische Tätigkeiten, wissenschaftliche, künstlerische, ideologische, eine so bedeutsame Rolle im Kulturleben spielen.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 457


Stichwort: Kultur

Die Schicksalsfrage der Menschenart scheint mir zu sein, ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 506


Stichwort: Kunst

Es gibt nämlich einen Rückweg von der Phantasie zur Realität, und das ist – die Kunst. Der Künstler ist im Ansatze auch ein Introvertierter, der es nicht weit zur Neurose hat.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 390


Stichwort: Kunst

Die Ersatzbefriedigungen, wie die Kunst sie bietet, sind gegen die Realität Illusionen, darum nicht minder psychisch wirksam dank der Rolle, die die Phantasie im Seelenleben behauptet hat.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 433


Stichwort: Kunst & Musik (siehe auch: Freud über Freud  und Musik & Kunst)

Aber Kunstwerke üben eine starke Wirkung auf mich aus, insbesondere Dichtungen und Werke der Plastik, seltener Malereien. Ich bin so veranlaßt worden, bei den entsprechenden Gelegenheiten lange vor ihnen zu verweilen, und wollte sie auf meine Weise erfassen, d.h. mir begreiflich machen, wodurch sie wirken. Wo ich das nicht kann, z.B. in der Musik, bin ich fast genußunfähig. Eine rationalistische oder vielleicht analytische Anlage sträubt sich in mir dagegen, daß ich ergriffen sein und dabei nicht wissen solle, warum ich es bin, und was mich ergreift.

Freud, S. (1914b): Der Moses des Michelangelo. GW X: 172


Stichwort: Leben

Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns, es bringt uns zuviel Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben. Um es zu ertragen, können wir Linderungsmittel nicht entbehren. (…) Solcher Mittel gibt es vielleicht dreierlei: mächtige Ablenkungen, die uns unser Elend gering schätzen lassen, Ersatzbefriedigungen, die es verringern, Rauschstoffe, die uns für dasselbe unempfindlich machen. Irgendetwas dieser Art ist unerläßlich.[2]

[2] Auf erniedrigtem Niveau sagt Wilhelm Busch in der »Frommen Helene« dasselbe: »Wer Sorgen hat, hat auch Likör.«

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 432


Stichwort: Leben & Sinn

Die Frage nach dem Zweck des menschlichen Lebens ist ungezählte Male gestellt worden; sie hat noch nie eine befriedigende Antwort gefunden, läßt eine solche vielleicht überhaupt nicht zu. Manche Fragesteller haben hinzugefügt: wenn sich ergeben sollte, daß das Leben keinen Zweck hat, dann würde es jeden Wert für sie verlieren. Aber diese Drohung ändert nichts. Es scheint vielmehr, daß man ein Recht dazu hat, die Frage abzulehnen.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 433


Stichwort:  Leben & Sinn (siehe auch: Religion)

Es ist wiederum nur die Religion, die die Frage nach einem Zweck des Lebens zu beantworten weiß. Man wird kaum irren zu entscheiden, daß die Idee eines Lebenszweckes mit dem religiösen System steht und fällt.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 433


Stichwort: Leben & Sinn & Krankheit (siehe auch: Krankheit & Leben & Sinn)

Im Moment, da man nach Sinn und Wert des Lebens fragt, ist man krank, denn beides gibt es ja in objektiver Weise nicht; man hat nur eingestanden, daß man einen Vorrat von unbefriedigter Libido hat, und irgend etwas anderes muß damit vorgefallen sein, eine Art Gärung, die zur Trauer und Depression führt. Großartig sind diese meine Aufklärungen gewiß nicht. Vielleicht weil ich selbst zu pessimistisch bin. Mir geht ein ›advertisement‹ im Kopf herum, das ich für das kühnste und gelungenste Stück amerikanischer Reklame halte:
»Why live, if you can be buried for ten Dollars?«

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 452 (Grinzing, 13.09.1937 an Marie Bonaparte)


Stichwort: Leben & Tod

Kurz, man lebt, und das Leben ist bekanntlich sehr schwierig und sehr kompliziert, und es gibt viele Wege zum Zentralfriedhof heißt es bei uns.

Freud, S. (1888): Briefe an Wilhelm Fließ (1887 – 1904), hrsg. von J. M. Masson (Deutsche Fassung: M. Schröter). Frankfurt/M.: S. Fischer 1986: 9 (Brief 4: Wien, 28.5.1888)


Stichwort: Leben & Tod

Man möchte doch nicht gleich und nicht ganz sterben.

Freud, S. (1894): Briefe an Wilhelm Fließ (1887 – 1904), hrsg. von J. M. Masson (Deutsche Fassung: M. Schröter). Frankfurt/M.: S. Fischer 1986: 67 (Brief 42: Wien, 21. 5.1894)


Stichwort: Leben & Tod

Man muß sein Leben so an das anderer knüpfen, sich so innig mit anderen identifizieren können, daß die Verkürzung der eigenen Lebensdauer überwindbar wird, (...).

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 121


Stichwort: Leben & Tod

Das Leben zu ertragen, bleibt ja doch die erste Pflicht aller Lebenden. (...) Si vis vitam, para mortem. Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.  

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 354f


Stichwort: Lehranalyse (siehe auch: Psychoanalytiker, Befähigung zum Beruf & Lehranalyse)

Was an mir noch erfreulich ist, heißt Anna. Bemerkenswert wieviel Einfluß und Autorität sie unter der analytischen Menge gewonnen hat, – leider viele davon von der Analyse wenig veränderter Menschenstoff.

S. Freud & Lou Andreas- Salomé (1935): Briefwechsel. Frankfurt/M.: Fischer 1966: 222 (Brief vom 6.1.1935)


Stichwort: Lehranalyse (siehe auch: Psychoanalytiker, Befähigung zum Beruf & Lehranalyse)

Es wäre nicht zu verwundern, wenn durch die unausgesetzte Beschäftigung mit all dem Verdrängten, was in der menschlichen Seele nach Befreiung ringt, auch beim Analytiker alle jene Triebansprüche wachgerüttelt würden, die er sonst in der Unterdrückung erhalten kann. Auch dies sind »Gefahren der Analyse«, die zwar nicht dem passiven, sondern dem aktiven Partner der analytischen Situation drohen, und man sollte es nicht unterlassen, ihnen zu begegnen. Es kann nicht zweifelhaft sein, auf welche Weise. Jeder Analytiker sollte periodisch, etwa nach Verlauf von fünf Jahren, sich wieder zum Objekt der Analyse machen, ohne sich dieses Schrittes zu schämen. Das hieße also, auch die Eigenanalyse würde aus einer endlichen eine unendliche Aufgabe, nicht nur die therapeutische Analyse am Kranken.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 95f


Stichwort: Liebe

Gesund sein ist so schön, wenn man nicht allein sein muß.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 146 (Wien, 29.4.1885 an Martha Bernays)


Stichwort: Liebe

Das Lieben ist nicht nur eines, sondern dreier Gegensätze fähig. Außer dem Gegensatz: lieben – hassen gibt es den anderen: lieben – geliebt werden, und überdies setzen sich lieben und hassen zusammengenommen dem Zustande der Indifferenz oder Gleichgültigkeit entgegen.

Freud, S. (1915c): Triebe und Triebschicksale X: 226


Stichwort: Liebe

Das Gewissen findet keine Anwendung auf alles, was zugunsten des Objektes geschieht; in der Liebesverblendung wird man reuelos zum Verbrecher. Die ganze Situation läßt sich restlos in eine Formel zusammenfassen: Das Objekt hat sich an die Stelle des Ichideals gesetzt.

Freud, S. (1921c): Massenpsychologie und Ich-Analyse: XIII: 125 (Kapitel VIII: Verliebtheit und Hypnose)


Stichwort: Liebe

Es ist ja schwer zu erreichen, daß man einander restlos befriedigt, an jedem vermißt man etwas, übt ein Stück Kritik.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud). Frankfurt/M.: Fischer 1968: 387 (Wien, 20.11.1926 an Ernest Jones)

Anmerkung: Im Original lautet das Zitat:

Indeed, it is difficult to achieve complete satisfaction with one another, we all find something missing in the other, become somewhat critical.

The Complete Correspondence of Sigmund Freud and Ernest Jones. 1908-1939 (edited by R. A. Paskauskas). London: The Belkin Press of Harvard University Press Cambridge 1993: 606 (Vienna, 20.11. 1926 an Ernest Jones, Brief 492)


Stichwort: Liebe

Niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben, niemals hilfloser unglücklich, als wenn wir das geliebte Objekt oder seine Liebe verloren haben.

Auf der Höhe der Verliebtheit droht die Grenze zwischen Ich und Objekt zu verschwimmen. Allen Zeugnissen der Sinne entgegen behauptet der Verliebte, daß Ich und Du Eines seien, und ist bereit, sich, als ob es so wäre, zu benehmen.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 441 und 423


Stichwort: Liebe

Eine Liebe, die nicht auswählt, scheint uns einen Teil ihres eigenen Werts einzubüßen, indem sie an dem Objekt ein Unrecht tut. Und weiter: es sind nicht alle Menschen liebenswert.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 461


Stichwort: Liebe - Verliebtheit

Auf der Höhe der Verliebtheit droht die Grenze zwischen Ich und Objekt zu verschwimmen. Allen Zeugnissen der Sinne entgegen behauptet der Verliebte, daß Ich und Du Eines seien, und ist bereit, sich, als ob es so wäre, zu benehmen.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 423


Stichwort: Liebe - Verliebtheit

Auf der Höhe eines Liebesverhältnisses bleibt kein Interesse für die Umwelt übrig; das Liebespaar genügt sich selbst, braucht auch nicht das gemeinsame Kind, um glücklich zu sein. In keinem anderen Falle verrät der Eros so deutlich den Kern seines Wesens, die Absicht, aus mehreren eines zu machen, aber wenn er dies, wie es sprichwörtlich geworden ist, in der Verliebtheit zweier Menschen zueinander erreicht hat, will er darüber nicht hinausgehen.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 467


Stichwort: Liebe & Psychoanalyse

Er [der Arzt] muß erkennen, daß das Verlieben der Patientin durch die analytische Situation erzwungen wird und nicht etwa den Vorzügen seiner Person zugeschrieben werden kann, daß er also gar keinen Grund hat, auf eine solche »Eroberung«, wie man sie außerhalb der Analyse heißen würde, stolz zu sein. Und es ist immer gut, daran gemahnt zu werden. Für die Patientin ergibt sich aber eine Alternative: entweder sie muß auf eine psychoanalytische Behandlung verzichten oder sie muß sich die Verliebtheit in den Arzt als unausweichliches Schicksal gefallen lassen.

[1] Daß die Übertragung sich in anderen und minder zärtlichen Gefühlen äußern kann, ist bekannt und soll in diesem Aufsatze nicht behandelt werden.

Freud, S. (1915a): Bemerkungen über die Übertragungsliebe. GW X: 308


Stichwort: Männer & Frauen  (siehe auch: Frauen & Männer)

Ein Mann um die Dreißig erscheint als ein jugendliches, eher unfertiges Individuum, von dem wir erwarten, daß es die Möglichkeiten der Entwicklung, die ihm die Analyse eröffnet, kräftig ausnützen wird. Eine Frau um die gleiche Lebenszeit aber erschreckt uns häufig durch ihre psychische Starrheit und Unveränderlichkeit.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXIII. Vorlesung: Die Weiblichkeit). GW XV: 144


Stichwort: Männlich & Weiblich (siehe auch: Weiblich & Männlich und Frauen & Männer und Männer & Frauen)

Ja, wüßte man den Begriffen »männlich und weiblich« einen bestimmteren Inhalt zu geben, so ließe sich auch die Behauptung vertreten, die Libido sei regelmäßig und gesetzmäßig männlicher Natur, ob sie nun beim Manne oder beim Weibe vorkomme und abgesehen von ihrem Objekt, mag dies der Mann oder das Weib sein.1

1) Es ist unerläßlich, sich klar zu machen, daß die Begriffe »männlich« und »weiblich«, deren Inhalt der gewöhnlichen Meinung so unzweideutig erscheint, in der Wissenschaft zu den verworrensten gehören und nach mindestens drei Richtungen zu zerlegen sind. Man gebraucht männlich und weiblich bald im Sinne von Aktivität und Passivität, bald im biologischen und dann auch im soziologischen Sinne. Die erste dieser drei Bedeutungen ist die wesentliche und die in der Psychoanalyse zumeist verwertbare.

Freud, Sigmund (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW V: 120 f und 121 Fn 1


Stichwort: Masturbation

Es ist mir die Einsicht aufgegangen, daß die Masturbation die einzige große Gewohnheit, die »Ursucht« ist, als deren Ersatz und Ablösung erst die anderen Süchte nach Alkohol, Morphin, Tabak etc. ins Leben treten.

Freud, S. (1897): Briefe an Wilhelm Fließ (1887 – 1904), hrsg. von J. M. Masson (Deutsche Fassung: M. Schröter). Frankfurt/M.: S. Fischer 1986: 312f (Brief 151: Wien, 22.12.1897)


Stichwort: Masturbation

Wenn man einen seiner jugendlichen Patienten befragte, ob er sich je mit der Masturbation befaßt habe, würde man gewiß keine andere Antwort hören als: O na, nie.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 31

Anmerkung: Freud zitiert hier einen "Zerteilungswitz" aus "ärztlichen Kreisen".


Stichwort: Masturbation

Man unterscheidet viel zu wenig strenge, wenn man die Frage der Abstinenz behandelt, zwei Formen derselben, die Enthaltung von jeder Sexualbetätigung überhaupt und die Enthaltung vom sexuellen Verkehre mit dem anderen Geschlechte. Vielen Personen, die sich der gelungenen Abstinenz rühmen, ist dieselbe nur mit Hilfe der Masturbation und ähnlicher Befriedigungen möglich geworden, die an die autoerotischen Sexualtätigkeiten der frühen Kindheit anknüpfen. Aber gerade dieser Beziehung wegen sind diese Ersatzmittel zur sexuellen Befriedigung keineswegs harmlos; sie disponieren zu den zahlreichen Formen von Neurosen und Psychosen, für welche die Rückbildung des Sexuallebens zu seinen infantilen Formen die Bedingung ist. Die Masturbation entspricht auch keineswegs den idealen Anforderungen der kulturellen Sexualmoral und treibt darum die jungen Menschen in die nämlichen Konflikte mit dem Erziehungsideale, denen sie durch die Abstinenz entgehen wollten. Sie verdirbt ferner den Charakter durch Verwöhnung auf mehr als eine Weise, erstens, indem sie bedeutsame Ziele mühelos, auf bequemen Wegen, anstatt durch energische Kraftanspannung erreichen lehrt, also nach dem Prinzipe der sexuellen Vorbildlichkeit, und zweitens, indem sie in den die Befriedigung begleitenden Phantasien das Sexualobjekt zu einer Vorzüglichkeit erhebt, die in der Realität nicht leicht wiedergefunden wird. Konnte doch ein geistreicher Schriftsteller (Karl Kraus in der Wiener »Fackel«), den Spieß umdrehend, die Wahrheit in dem Zynismus aussprechen: Der Koitus ist nur ein ungenügendes Surrogat für die Onanie!

Freud, S. (1908d): Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität. GW VII: 162f


Stichwort: Masturbation

Die Onanie hat eben auch, wie so vieles andere, les défauts de ses vertus und umgekehrt les vertus de ses défauts.

Freud, S. (1912f): Schlußwort zur Onanie-Diskussion. GW VIII: 343

Übersetzung (JT): ... die Fehler ihrer Tugenden/die Tugenden ihrer Fehler


Stichwort: Mediziner

Die Mediziner waren in der alleinigen Hochschätzung anatomischer, physikalischer und chemischer Momente erzogen worden. Für die Würdigung des Psychischen waren sie nicht vorbereitet, also brachten sie diesem Gleichgültigkeit und Abneigung entgegen. Offenbar bezweifelten sie, daß psychische Dinge überhaupt eine exakte wissenschaftliche Behandlung zulassen. In übermäßiger Reaktion auf eine überwundene Phase, in der die Medizin von den Anschauungen der sogenannten Naturphilosophie beherrscht wurde, erschienen ihnen Abstraktionen, wie die, mit denen die Psychologie arbeiten muß, als nebelhaft, phantastisch, mystisch; merkwürdigen Phänomenen aber, an welche die Forschung hätte anknüpfen können, versagten sie einfach den Glauben.

Freud, S. (1925e): Die Widerstände gegen die Psychoanalyse. GW XIV: 102


Stichwort: Melancholie & Trauer

Das Ich trauert, weil es sein Objekt durch Entwertung verloren hat, aber es projiziert dies Objekt auf sich selbst und findet sich dann sich selbst entwertet. Der Schatten des Objekts fällt auf das Ich und verdunkelt es. Der Prozeß der Trauer vollzieht sich nicht an den Objektbesetzungen, sondern an den Ichbesetzungen.

Freud, S. & Ferenczi, S. (1914-1916): Briefwechsel. Band II/1. (hg. von Ernst Falzeder & Eva Brabant). Wien: Böhlau: 107 (Brief [ohne Nummer] F, Wien, 7.2.1915)


Stichwort: Melancholie & Trauer

Der Melancholiker zeigt uns noch eines, was bei der Trauer entfällt, eine außerordentliche Herabsetzung seines Ichgefühls, eine großartige Ichverarmung. Bei der Trauer ist die Welt arm und leer geworden, bei der Melancholie ist es das Ich selbst.

Freud, S. (1916-17g): Trauer und Melancholie. GW X: 431


Stichwort: Melancholie & Trauer

Ein anderes Beispiel von solcher Introjektion des Objekts hat uns die Analyse der Melancholie gegeben, welche Affektion ja den realen oder affektiven Verlust des geliebten Objekts unter ihre auffälligsten Veranlassungen zählt. Ein Hauptcharakter dieser Fälle ist die grausame Selbstherabsetzung des Ichs in Verbindung mit schonungsloser Selbstkritik und bitteren Selbstvorwürfen. Analysen haben ergeben, daß diese Einschätzung und diese Vorwürfe im Grunde dem Objekt gelten und die Rache des Ichs an diesem darstellen. Der Schatten des Objekts ist auf das Ich gefallen, sagte ich an anderer Stelle.2 Die Introjektion des Objekts ist hier von unverkennbarer Deutlichkeit.

2 Trauer und Melancholie. Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre. IV. Folge, 1918 [Ges. Werke, Bd. X]

Freud, S. (1921c): Massenpsychologie und Ich-Analyse: XIII: 120


Stichwort: Menschen & Wesen  (siehe auch: Böse, das)

Es gibt Menschen, die gut sind, weil ihnen nichts Böses einfällt, und andere, die gut sind, weil sie ihre bösen Gedanken – immer oder häufig – überwinden.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 203 (Paris, 27.1.1886 an Martha Bernays)


Stichwort: Menschen & Wesen

Menschen sind doch das Wertvollste, das man gewinnen kann.

Sigmund Freud/C. G. Jung: Briefwechsel. (herausgegeben von W. McGuire und W. Sauerländer). Frankfurt/M.: Fischer 1974: 366 (Brief 199 F; Wien, 19.6. 1910)


Stichwort: Menschen & Wesen (siehe auch: Böse, das)

In Wirklichkeit gibt es keine »Ausrottung« des Bösen. Die psychologische – im strengeren Sinne die psychoanalytische – Untersuchung zeigt vielmehr, daß das tiefste Wesen des Menschen in Triebregungen besteht, die elementarer Natur, bei allen Menschen gleichartig sind und auf die Befriedigung gewisser ursprünglicher Bedürfnisse zielen. Diese Triebregungen sind an sich weder gut noch böse. Wir klassifizieren sie und ihre Äußerungen in solcher Weise, je nach ihrer Beziehung zu den Bedürfnissen und Anforderungen der menschlichen Gemeinschaft. Zuzugeben ist, daß alle die Regungen, welche von der Gesellschaft als böse verpönt werden – nehmen wir als Vertretung derselben die eigensüchtigen und die grausamen – sich unter diesen primitiven befinden.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 331f


Stichwort: Menschen & Wesen (siehe auch: Böse, das)

Der Mensch ist selten im ganzen gut oder böse, meist »gut« in dieser Relation, »böse« in einer anderen oder »gut« unter solchen äußeren Bedingungen, unter anderen entschieden »böse«. Interessant ist die Erfahrung, daß die kindliche Präexistenz starker »böser« Regungen oft geradezu die Bedingung wird für eine besonders deutliche Wendung des Erwachsenen zum »Guten«. Die stärksten kindlichen Egoisten können die hilfreichsten und aufopferungsfähigsten Bürger werden; die meisten Mitleidsschwärmer, Menschenfreunde, Tierschützer haben sich aus kleinen Sadisten und Tierquälern entwickelt.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 332f


Stichwort: Menschen & Wesen (siehe auch: Ethik)

Ich bin mit einem Punkte unzufrieden, mit Ihrem Widerspruch gegen meine Sexualtheorie und meine Ethik. Das heißt, die letztere gebe ich Ihnen preis; mir liegt Ethik ferne, und Sie sind Seelsorger. Ich zerbreche mir nicht viel den Kopf über Gut und Böse, aber ich habe an den Menschen durchschnittlich wenig Gutes gefunden. Die meisten sind nach meinen Erfahrungen Gesindel, ob sie sich laut zu dieser, jener oder keiner ethischen Lehre bekennen. Das können Sie nicht laut sagen, vielleicht nicht einmal denken, obwohl Ihre Lebenserfahrungen kaum anders als meine gewesen sein können. Wenn schon von der Ethik die Rede sein soll, so bekenne ich mich zu einem hohen Ideal, von dem die mir bekannt gewordenen nun meist sehr betrüblich, abweichen.

Sigmund Freud - Oskar Pfister: Briefwechsel 1909-1939 (hg. v. E. L. Freud & H. Meng). Zürich: Buchclub Ex Libris. Brief 41 (Wien, 9.10.1918): 62


Stichwort: Menschen & Wesen (siehe auch: Böse, das)

Im tiefsten Inneren bin ich ja doch überzeugt, daß meine lieben Mitmenschen - mit einzelnen Ausnahmen - Gesindel sind.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 407 (Schneewinkl, 28.7.1929 an Lou Andreas-Salomé)


Stichwort: Menschen & Wesen (siehe auch: Tiere & Menschen und Zivilisation)

»Ich weiß nicht, was man eigentlich gegen das Tier einzuwenden hat«, sagte Freud. »Ich ziehe die Gesellschaft der Tiere der menschlichen Gesellschaft bei weitem vor. Gewiß, ein wildes Tier ist grausam. Aber die Gemeinheit ist ein Vorrecht des zivilisierten Menschen. Eine ganze Reihe häßlicher Eigenschaften des Menschen ist eine Folge ihrer Anpassung an eine hochentwickelte Zivilisation und ist das Ergebnis eines Konflikts zwischen unseren Instinkten und unserer Kultur. Die Psychoanalyse scheint mir gewissermaßen als der Faden, der aus dem Labyrinth des Lebens hinausführt

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4

Anmerkung: Freud kannte den in den USA lebenden Journalisten und Schriftstellers, er schrieb ihm Briefe und kannte auch dessen Frau (Sigmund Freud. Briefe 1873-1939. Frankfurt/M.: Fischer 1968: 395, 431, 492, Brief an dessen Frau: 396)

online: Österreichische Nationalbibliothek ANNO


Stichwort: Menschen & Wesen (siehe auch: Böse, das)

Man hat, meine ich, mit der Tatsache zu rechnen, daß bei allen Menschen destruktive, also antisoziale und antikulturelle Tendenzen vorhanden sind und daß diese bei einer großen Anzahl von Personen stark genug sind, um ihr Verhalten in der menschlichen Gesellschaft zu bestimmen.

Freud, S. (1927c): Die Zukunft einer Illusion. GW XIV: 328


Stichwort: Menschen & Wesen (siehe auch: Böse, das)

Homo homini lupus; wer hat nach allen Erfahrungen des Lebens und der Geschichte den Mut, diesen Satz zu bestreiten?

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 471

Anmerkung: Unmittelbar voraushegend schreibt Freud:

Das gern verleugnete Stück Wirklichkeit hinter alledem ist, daß der Mensch nicht ein sanftes, liebebedürftiges Wesen ist, das sich höchstens, wenn angegriffen, auch zu verteidigen vermag, sondern daß er zu seinen Triebbegabungen auch einen mächtigen Anteil von Aggressionsneigung rechnen darf. Infolgedessen ist ihm der Nächste nicht nur möglicher Helfer und Sexualobjekt, sondern auch eine Versuchung, seine Aggression an ihm zu befriedigen, seine Arbeitskraft ohne Entschädigung auszunützen, ihn ohne seine Einwilligung sexuell zu gebrauchen, sich in den Besitz seiner Habe zu setzen, ihn zu demütigen, ihm Schmerzen zu bereiten, zu martern und zu töten. (ebd. 470f)


Stichwort: Mörder (im Unbewußten)

Fromme Seelen, welche unser Wesen gerne von der Berührung mit Bösem und Gemeinem ferne wissen möchten, werden gewiß nicht versäumen, aus der Frühzeitigkeit und Eindringlichkeit des Mordverbotes befriedigende Schlüsse zu ziehen auf die Stärke ethischer Regungen, welche uns eingepflanzt sein müssen. Leider beweist dieses Argument noch mehr für das Gegenteil. Ein so starkes Verbot kann sich nur gegen einen ebenso starken Impuls richten. Was keines Menschen Seele begehrt, braucht man nicht zu verbieten, es schließt sich von selbst aus. Gerade die Betonung des Gebotes: Du sollst nicht töten, macht uns sicher, daß wir von einer unendlich langen Generationsreihe von Mördern abstammen, denen die Mordlust, wie vielleicht noch uns selbst, im Blute lag. Die ethischen Strebungen der Menschheit, an deren Stärke und Bedeutsamkeit man nicht zu nörgeln braucht, sind ein Erwerb der Menschengeschichte; in leider sehr wechselndem Ausmaße sind sie dann zum ererbten Besitze der heute lebenden Menschheit geworden.

Freud, S.  (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 349f


Stichwort: Mörder (im Unbewußten)

Nein, lassen wir uns nicht irre machen. Es gibt bei uns keinen instinktiven Abscheu vor dem Blutvergießen. Wir sind die Nachkommen einer unendlich langen Generationsreihe von Mördern. Die Mordlust steckt uns im Blute und vielleicht werden wir sie bald noch an anderer Stelle aufgespürt haben.

(...)

Die Todesangst, an der wir viel häufiger leiden, als wir wissen, ist ein unlogischer Gegensatz zu dieser Sicherheit. Sie ist übrigens lange nicht so ursprünglich und meist aus Schuldbewußtsein hervorgegangen.

Andererseits anerkennen wir den Tod für Fremde und Feinde und verwenden ihn gegen sie wie der Urmensch. Der Unterschied ist nur, wir führen den Tod nicht wirklich herbei, wir denken und wünschen ihn bloß. Aber wenn Sie diese sogenannte psychische Realität gelten lassen, so können Sie sagen: In unserem Unbewußten sind wir alle noch heute eine Rotte von Mördern. Wir beseitigen in unseren stillen Gedanken alle, die uns im Wege stehen, die uns beleidigt oder geschädigt haben, täglich und stündlich. Das: »Hol’ ihn der Teufel«, das sich als schwächliche Interjektion so häufig über unsere Lippen drängt und das ja eigentlich bedeutet: »Hol’ ihn der Tod«, ist für unser Unbewußtes kraftvoller Ernst. Ja unser Unbewußtes mordet selbst für Kleinigkeiten;

Freud, S. (1915i): Wir und der Tod.  Zweimonats-Bericht für die Mitglieder der österr. israel. Humanitätsvereine B’nai B’rith, 18 (Heft 1/1915): 41-51 (Zitat: 47f); http://archive.org/stream/zweimonatsberichreel01#page/n25/mode/1up


Stichwort: Moral

Würde jemand den paradoxen Satz vertreten wollen, daß der normale Mensch nicht nur viel unmoralischer ist, als er glaubt, sondern auch viel moralischer, als er weiß, so hätte die Psychoanalyse, auf deren Befunden die erste Hälfte der Behauptung ruht, auch gegen die zweite Hälfte nichts einzuwenden (1).

1) Dieser Satz ist nur scheinbar ein Paradoxon; er besagt einfach, daß die Natur des Menschen im Guten wie im Bösen weit über das hinausgeht, was er von sich glaubt, das heißt was seinem Ich durch Bewußtseinswahrnehmung bekannt ist.

Freud, S. (1923b): Das Ich und das Es. GW XIII: 281f


Stichwort: Musik & Kunst  (siehe auch: Freud über Freud und Kunst & Musik)

Aber Kunstwerke üben eine starke Wirkung auf mich aus, insbesondere Dichtungen und Werke der Plastik, seltener Malereien. Ich bin so veranlaßt worden, bei den entsprechenden Gelegenheiten lange vor ihnen zu verweilen, und wollte sie auf meine Weise erfassen, d.h. mir begreiflich machen, wodurch sie wirken. Wo ich das nicht kann, z.B. in der Musik, bin ich fast genußunfähig. Eine rationalistische oder vielleicht analytische Anlage sträubt sich in mir dagegen, daß ich ergriffen sein und dabei nicht wissen solle, warum ich es bin, und was mich ergreift.

Freud, S. (1914b): Der Moses des Michelangelo. GW X: 172


Stichwort: Narzißmus, elterlicher (siehe auch Baby, his Majesty  und Narzißmus, kindlicher)

Der von uns supponierte primäre Narzißmus des Kindes, der eine der Voraussetzungen unserer Libidotheorien enthält, ist weniger leicht durch direkte Beobachtung zu erfassen als durch Rückschluß von einem anderen Punkte her zu bestätigen. Wenn man die Einstellung zärtlicher Eltern gegen ihre Kinder ins Auge faßt, muß man sie als Wiederaufleben und Reproduktion des eigenen, längst aufgegebenen Narzißmus erkennen. Das gute Kennzeichen der Überschätzung, welches wir als narzißtisches Stigma schon bei der Objektwahl gewürdigt haben, beherrscht, wie allbekannt, diese Gefühlsbeziehung. So besteht ein Zwang, dem Kinde alle Vollkommenheiten zuzusprechen, wozu nüchterne Beobachtung keinen Anlaß fände, und alle seine Mängel zu verdecken und zu vergessen, womit ja die Verleugnung der kindlichen Sexualität im Zusammenhange steht. Es besteht aber auch die Neigung, alle kulturellen Erwerbungen, deren Anerkennung man seinem Narzißmus abgezwungen hat, vor dem Kinde zu suspendieren und die Ansprüche auf längst aufgegebene Vorrechte bei ihm zu erneuern. Das Kind soll es besser haben als seine Eltern, es soll den Notwendigkeiten, die man als im Leben herrschend erkannt hat, nicht unterworfen sein. Krankheit, Tod, Verzicht auf Genuß, Einschränkung des eigenen Willens sollen für das Kind nicht gelten, die Gesetze der Natur wie der Gesellschaft vor ihm haltmachen, es soll wirklich wieder Mittelpunkt und Kern der Schöpfung sein. His Majesty the Baby, wie man sich einst selbst dünkte. Es soll die unausgeführten Wunschträume der Eltern erfüllen, ein großer Mann und Held werden an Stelle des Vaters, einen Prinzen zum Gemahl bekommen zur späten Entschädigung der Mutter. Der heikelste Punkt des narzißtischen Systems, die von der Realität hart bedrängte | Unsterblichkeit des Ichs, hat ihre Sicherung in der Zuflucht zum Kinde gewonnen. Die rührende, im Grunde so kindliche Elternliebe ist nichts anderes als der wiedergeborene Narzißmus der Eltern, der in seiner Umwandlung zur Objektliebe sein einstiges Wesen unverkennbar offenbart.

Freud, S. (1914c): Zur Einführung des Narzißmus. GW X: 157f


Stichwort: Narzißmus, kindlicher (siehe auch Baby, his Majesty  und Narzißmus, elterlicher)

Der von uns supponierte primäre Narzißmus des Kindes, der eine der Voraussetzungen unserer Libidotheorien enthält, ist weniger leicht durch direkte Beobachtung zu erfassen als durch Rückschluß von einem anderen Punkte her zu bestätigen. Wenn man die Einstellung zärtlicher Eltern gegen ihre Kinder ins Auge faßt, muß man sie als Wiederaufleben und Reproduktion des eigenen, längst aufgegebenen Narzißmus erkennen. Das gute Kennzeichen der Überschätzung, welches wir als narzißtisches Stigma schon bei der Objektwahl gewürdigt haben, beherrscht, wie allbekannt, diese Gefühlsbeziehung. So besteht ein Zwang, dem Kinde alle Vollkommenheiten zuzusprechen, wozu nüchterne Beobachtung keinen Anlaß fände, und alle seine Mängel zu verdecken und zu vergessen, womit ja die Verleugnung der kindlichen Sexualität im Zusammenhange steht. Es besteht aber auch die Neigung, alle kulturellen Erwerbungen, deren Anerkennung man seinem Narzißmus abgezwungen hat, vor dem Kinde zu suspendieren und die Ansprüche auf längst aufgegebene Vorrechte bei ihm zu erneuern. Das Kind soll es besser haben als seine Eltern, es soll den Notwendigkeiten, die man als im Leben herrschend erkannt hat, nicht unterworfen sein. Krankheit, Tod, Verzicht auf Genuß, Einschränkung des eigenen Willens sollen für das Kind nicht gelten, die Gesetze der Natur wie der Gesellschaft vor ihm haltmachen, es soll wirklich wieder Mittelpunkt und Kern der Schöpfung sein. His Majesty the Baby, wie man sich einst selbst dünkte. Es soll die unausgeführten Wunschträume der Eltern erfüllen, ein großer Mann und Held werden an Stelle des Vaters, einen Prinzen zum Gemahl bekommen zur späten Entschädigung der Mutter. Der heikelste Punkt des narzißtischen Systems, die von der Realität hart bedrängte | Unsterblichkeit des Ichs, hat ihre Sicherung in der Zuflucht zum Kinde gewonnen. Die rührende, im Grunde so kindliche Elternliebe ist nichts anderes als der wiedergeborene Narzißmus der Eltern, der in seiner Umwandlung zur Objektliebe sein einstiges Wesen unverkennbar offenbart.

Freud, S. (1914c): Zur Einführung des Narzißmus. GW X: 157f


Stichwort: Narzißmus der kleinen Differenzen

Ich habe mich einmal mit dem Phänomen beschäftigt, daß gerade benachbarte und einander auch sonst nahe stehende Gemeinschaften sich gegenseitig befehden und verspotten, so Spanier und Portugiesen, Nord- und Süddeutsche, Engländer und Schotten usw. Ich gab ihm den Namen »Narzißmus der kleinen Differenzen«, der nicht viel zur Erklärung beiträgt. Man erkennt nun darin eine bequeme und relativ harmlose Befriedigung der Aggressionsneigung, durch die den Mitgliedern der Gemeinschaft das Zusammenhalten erleichtert wird.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 473f


Stichwort: Nationalsozialismus

Die Zukunft ist ungewiß, entweder ein österreichischer Faschismus oder das Hakenkreuz. Im letzteren Falle müssen wir weg; vom heimischen Faschismus wollen wir uns allerlei gefallen lassen, da er uns kaum so schlecht behandeln wird wie sein deutscher Vetter.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 434 (Wien, 20.2.1934 an Ernst Freud)


Stichwort: Nationalsozialismus

Die Zeit ist trübe, es ist zum Glück nicht meine Aufgabe, sie aufzuhellen.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 439 (Wien, 2.5.1935 an Arnold Zweig)


Stichwort: Nationalsozialismus

Ich kann die Gestapo jedermann aufs beste empfehlen.

Anmerkung:  Verschiedene Biographen Freuds (Martin Freud 1999: 236, Jones 1984 [1962] Band 3: 268, Gay 1995: 707) schreiben diese Worte Freud zu. Es handle sich dabei um einen handschriftlichen Nachsatz zu einem Dokument, das Freud im Mai 1938 vor seiner Ausreise aus Österreich unterschreiben mußte, um zu bescheinigen, daß er nicht mißhandelt wurde. Michael Thaler (Erbe der Bibliothek von Alfred Indra, der seinerseits mit Freud im Briefwechsel stand) hat um das Jahr 2003 herum recherchiert und schreibt dazu (Zitat in blau):

Einer der Punkte der damaligen Auktion [Auktionskatalog 100 von Christian M. Nebehay, Wien, herausgegeben am 11. Mai 1989] waren "Briefe und Dokumente Sigmund Freuds zu seiner Emigration am 4. Juni 1938". Eine Rücksprache mit Nebehay in Wien ergab, dass das Konvolut von der Österreichischen Nationalbibliothek erworben worden war. Ernst Gamillscheg und Andreas Fingernagel von der Handschriftensammlung der Nationalbibliothek ließen mir freundlicherweise Kopien des Briefwechsels, vor allem der Erklärung vom 4.Juni 1938, zukommen. Der Text der Erklärung lautet: „Ich bestätige gerne, dass bis heute den 4. Juni 1938, keinerlei Behelligung meiner Person oder meiner Hausgenossen vorgekommen ist. Behörden und Funktionäre der Partei sind mir und meinen Hausgenossen ständig korrekt und rücksichtsvoll entgegen getreten. Wien, den 4.Juni 1938. Prof Dr. Sigm. Freud“

Der Text der Erklärung stammt handschriftlich von Alfred Indra und ist von Sigmund Freud eigenhändig unterschrieben worden. Ein Postskriptum Freuds scheint nicht auf.

Das Zitat ist also nicht belegbar!

Quelle: Die Presse v. 31.05.2013: Die Schrift des Dr. Indra. Von Michael Thaler (Die Presse)


Stichwort: Neid

Der Neid stört oft den Genuß der Parke und Landsitze.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 264 (Rapallo, 17.9.1905 an Alexander Freud)


Stichwort: Neid (siehe auch: Besitzungleichheit)

Wer in seinen eigenen jungen Jahren das Elend der Armut verkostet, die Gleichgiltigkeit und den Hochmut der Besitzenden erfahren hat, sollte vor dem Verdacht geschützt sein, daß er kein Verständnis und kein Wohlwollen für die Bestrebungen hat, die Besitzungleichheit der Menschen und was sich aus ihr ableitet, zu bekämpfen. Freilich, wenn sich dieser Kampf auf die abstrakte Gerechtigkeitsforderung der Gleichheit aller Menschen berufen will, liegt der Einwand zu nahe, daß die Natur durch die höchst ungleichmäßige körperliche Ausstattung und geistige Begabung der Einzelnen Ungerechtigkeiten eingesetzt hat, gegen die es keine Abhilfe gibt.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 472 Fußnote 1


Stichwort: Neurose & Psychose

Im Zusammenhange eines von anderer Seite angeregten Gedankenganges, der sich mit der Entstehung und Verhütung der Psychosen beschäftigte, ergab sich mir nun eine einfache Formel, welche die vielleicht wichtigste genetische Differenz zwischen Neurose und Psychose behandelt: die Neurose sei der Erfolg eines Konflikts zwischen dem Ich und seinem Es, die Psychose aber der analoge Ausgang einer solchen Störung in den Beziehungen zwischen Ich und Außenwelt.

Freud, S. (1924b): Neurose und Psychose. GW XIII: 387


Stichwort: Neurose & Psychose

Die Neurose verleugnet die Realität nicht, sie will nur nichts von ihr wissen; die Psychose verleugnet sie und sucht sie zu ersetzen. Normal oder »gesund« heißen wir ein Verhalten, welches bestimmte Züge beider Reaktionen vereinigt, die Realität so wenig verleugnet wie die Neurose, sich aber dann wie die Psychose um ihre Abänderung bemüht.

Freud, S. (1924e): Der Realitätsverlust bei Neurose und Psychose. GW XIII: 365


Stichwort: Neurose & Psychose

Das Problem der Psychose wäre einfach und durchsichtig, wenn die Ablösung des Ichs von der Realität restlos durchführbar wäre. Aber das scheint nur selten, vielleicht niemals vorzukommen. Selbst von Zuständen, die sich von der Wirklichkeit der Aussenwelt so weit entfernt haben wie der einer halluzinatorischen Verworrenheit (Amentia), erfährt man durch die Mitteilung der Kranken nach ihrer Genesung, dass damals in einem Winkel ihrer Seele, wie sie sich ausdrücken, eine normale Person sich verborgen hielt, die den Krankheitsspuk wie ein unbeteiligter Beobachter an sich vorüberziehen liess.

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 132


Stichwort: Neurose & Trauma

Die Ätiologie aller neurotischen Störungen ist ja eine gemischte; es handelt sich (…) in der Regel um ein Zusammenwirken beider Momente, des konstitutionellen und des akzidentellen. Je stärker das erstere, desto eher wird ein Trauma zur Fixierung führen und eine Entwicklungsstörung zurücklassen; je stärker das Trauma, desto sicherer wird es seine Schädigung auch unter normalen Triebverhältnissen äußern.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 64


Stichwort: Neutralität

Wir haben es entschieden abgelehnt, den Patienten, der sich Hilfe suchend in unsere Hand begibt, zu unserem Leibgut zu machen, sein Schicksal für ihn zu formen, ihm unsere Ideale aufzudrängen und ihn im Hochmut des Schöpfers zu unserem Ebenbild, an dem wir Wohlgefallen haben sollen, zu gestalten.

Freud, S. (1919a): Wege der psychoanalytischen Therapie. GW XII: 190

Anmerkung: Freud selbst hat den Begriff Neutralität nicht verwendet.


Stichwort: Orgasmus & Geschlechtsverkehr (siehe auch: Sexualität)

Die Abstoßung der Sexualstoffe im Sexualakt entspricht gewissermaßen der Trennung von Soma und Keimplasma. Daher die Ähnlichkeit des Zustandes nach der vollen Sexualbefriedigung mit dem Sterben, bei niederen Tieren das Zusammenfallen des Todes mit dem Zeugungsakt.

Das Ich und das Es XIII: 276

Freud, S. (1923b): Das Ich und das Es. GW XIII: 276


Stichwort: Orgasmus & Geschlechtsverkehr (siehe auch: Sexualität)

Es fehlt immer etwas zur vollen Entlastung und Befriedigung – en attendant toujours quelque chose qui ne venait point – und dieses fehlende Stück, die Reaktion des Orgasmus, äussert sich in Aequivalenten auf anderen Gebieten, Absencen, Ausbrüchen von Lachen, Weinen (Xy), und vielleicht anderem.

Freud, S. (1941f): Ergebnisse, Ideen, Probleme (London, Juni 1938). GW XVII: 152

Anmerkung: Das Zitat gehört zu den Aufzeichnungen, die im Nachlaß Freuds gefunden wurden.


Stichwort: Orgasmus, Geschlechtsverkehr & Perversion

Gerade das Küssen kann aber leicht zur vollen Perversion werden, wenn es nämlich so intensiv ausfällt, daß sich Genitalentladung und Orgasmus direkt daranschließen, was gar nicht so selten vorkommt. Im übrigen kann man erfahren, daß Betasten und Beschauen des Objektes für den einen unentbehrliche Bedingungen des Sexualgenusses sind, daß ein anderer auf der Höhe der sexuellen Erregung kneift oder beißt, daß die größte Erregtheit beim Liebenden nicht immer durch das Genitale, sondern durch eine andere Körperregion des Objektes hervorgerufen wird, und ähnliches in beliebiger Auswahl mehr. Es hat gar keinen Sinn, Personen mit einzelnen solchen Zügen aus der Reihe der Normalen auszuscheiden und zu den Perversen zu stellen, vielmehr erkennt man immer deutlicher, daß das Wesentliche der Perversionen nicht in der Überschreitung des Sexualzieles, nicht in der Ersetzung der Genitalien, ja nicht einmal immer in der Variation des Objektes besteht, sondern allein in der Ausschließlichkeit, mit welcher sich diese Abweichungen vollziehen, und durch welche der der Fortpflanzung dienende Sexualakt beiseite geschoben wird.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 333f


Stichwort: Ozeanisches Gefühl (siehe auch: Religion & ozeanisches Gefühl)

Wenn wir so durchaus bereit sind anzuerkennen, es gebe bei vielen Menschen ein »ozeanisches« Gefühl, und geneigt, es auf eine frühe Phase des Ichgefühls zurückzuführen, erhebt sich die weitere Frage, welchen Anspruch hat dieses Gefühl, als die Quelle der religiösen Bedürfnisse angesehen zu werden.

Mir erscheint dieser Anspruch nicht zwingend. Ein Gefühl kann doch nur dann eine Energiequelle sein, wenn es selbst der Ausdruck eines starken Bedürfnisses ist. Für die religiösen Bedürfnisse scheint mir die Ableitung von der infantilen Hilflosigkeit und der durch sie geweckten Vatersehnsucht unabweisbar, zumal da sich dies Gefühl nicht einfach aus dem kindlichen Leben fortsetzt, sondern durch die Angst vor der Übermacht des Schicksals dauernd erhalten wird. Ein ähnlich starkes Bedürfnis aus der Kindheit wie das nach dem Vaterschutz wüßte ich nicht anzugeben. Damit ist die Rolle des ozeanischen Gefühls, das etwa die Wiederherstellung des uneingeschränkten Narzißmus anstreben könnte, vom Vordergrund abgedrängt. Bis zum Gefühl der kindlichen Hilflosigkeit kann man den Ursprung der religiösen Einstellung in klaren Umrissen verfolgen. Es mag noch anderes dahinterstecken, aber das verhüllt einstweilen der Nebel.

Ich kann mir vorstellen, daß das ozeanische Gefühl nachträglich in Beziehungen zur Religion geraten ist. Dies Eins-sein mit dem All, was als Gedankeninhalt ihm zugehört, spricht uns ja an wie ein erster Versuch einer religiösen Tröstung, wie ein anderer Weg zur Ableugnung der Gefahr, die das Ich als von der Außenwelt drohend erkennt.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 430

Anmerkung: Freud bezieht sich bei dem ozeanischen Gefühl auf eine Formulierung im Brief eines jener ausgezeichneten Männer, deren "Größe auf Eigenschaften und Leistungen ruht, die den Zielen und Idealen der Menge durchaus fremd sind" und der sich in Briefen (an Freud) "meinen Freund" nennt (421). Anders als oftmals zitiert bleibt Freud dem *ozeanischen Gefühl" gegenüber höchst skeptisch:

Ich selbst kann dies »ozeanische« Gefühl nicht in mir entdecken. Es ist nicht bequem, Gefühle wissenschaftlich zu bearbeiten. Man kann versuchen, ihre physiologischen Anzeichen zu beschreiben. Wo dies nicht angeht, – ich fürchte, auch das ozeanische Gefühl wird sich einer solchen Charakteristik entziehen, – bleibt doch nichts übrig, als sich an den Vorstellungsinhalt zu halten, der sich assoziativ am ehesten zum Gefühl gesellt.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 422


Stichwort: Perversionen (siehe auch: Sexualität)

Die Ärzte, welche die Perversionen zuerst an ausgeprägten Beispielen und unter besonderen Bedingungen studiert haben, sind natürlich geneigt gewesen, ihnen den Charakter eines Krankheits- oder Degenerationszeichens zuzusprechen, ganz ähnlich wie bei der Inversion. Indes ist es hier leichter als dort, diese Auffassung abzulehnen. Die alltägliche Erfahrung hat gezeigt, daß die meisten dieser Überschreitungen, wenigstens die minder argen unter ihnen, einen selten fehlenden Bestandteil des Sexuallebens der Gesunden bilden und von ihnen wie andere Intimitäten auch beurteilt werden.

Gerade auf dem Gebiete des Sexuallebens stößt man auf besondere, eigentlich derzeit unlösbare Schwierigkeiten, wenn man eine scharfe Grenze zwischen bloßer Variation innerhalb der physiologischen Breite und krankhaften Symptomen ziehen will.

Vielleicht gerade bei den abscheulichsten Perversionen muß man die ausgiebigste psychische Beteiligung zur Umwandlung des Sexualtriebes anerkennen. Es ist hier ein Stück seelischer Arbeit geleistet, dem man trotz seines greulichen Erfolges den Wert einer Idealisierung des Triebes nicht absprechen kann. Die Allgewalt der Liebe zeigt sich vielleicht nirgends stärker als in diesen ihren Verirrungen. Das Höchste und das Niedrigste hängen in der Sexualität überall am innigsten aneinander (»vom Himmel durch die Welt zur Hölle«).

Freud, Sigmund (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW V: 59, 60, 61

Anmerkung: Mit dem Begriff 'Inversion' vermeidet Freud den negativ besetzten Begriff der 'Homosexualität' und betrachtet diese nicht als Perversion. Allerdings grenzt er andererseits die Inversion von der (normalen) Heterosexualität ab.


Stichwort: Psyche

Die Psychoanalyse macht eine Grundvoraussetzung, deren Diskussion philosophischem Denken vorbehalten bleibt, deren Rechtfertigung in ihren Resultaten liegt. Von dem, was wir unsere Psyche (Seelenleben) nennen, ist uns zweierlei bekannt, erstens das körperliche Organ und Schauplatz desselben, das Gehirn (Nervensystem), anderseits unsere Bewusstseinsakte, die unmittelbar gegeben sind und uns durch keinerlei Beschreibung näher gebracht werden können. Alles dazwischen ist uns unbekannt, eine direkte Beziehung zwischen beiden Endpunkten unseres Wissens ist nicht gegeben. Wenn sie bestünde, würde sie höchstens eine genaue Lokalisation der Bewusstseinsvorgänge liefern und für deren Verständnis nichts leisten.

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 67


Stichwort: Psychiater

Selbst die Psychiater, zu deren Beobachtung sich doch die ungewöhnlichsten und verwunderlichsten seelischen Phänomene drängten, zeigten keine Neigung, deren Details zu beachten und ihren Zusammenhängen nachzuspüren. Sie begnügten sich damit, die Buntheit der Krankheitserscheinungen zu klassifizieren und sie, wo immer es nur anging, auf somatische, anatomische oder chemische Störungsursachen zurückzuführen. In dieser materialistischen oder besser: mechanistischen Periode hat die Medizin großartige Fortschritte gemacht, aber auch das vornehmste und schwierigste unter den Problemen des Lebens in kurzsichtiger Weise verkannt.

Freud, S. (1925e): Die Widerstände gegen die Psychoanalyse. GW XIV: 102f


Stichwort: Psychoanalyse

Verleumdet und von der Liebe, mit der wir operieren, versengt zu werden, das sind unsere Berufsgefahren, derentwegen wir den Beruf wirklich nicht aufgeben werden.

Sigmund Freud/C. G. Jung: Briefwechsel. (herausgegeben von W. McGuire und W. Sauerländer). Frankfurt/M.: Fischer 1974: 233 (Brief 134 F; Wien 9.3. 1909)

Anmerkung: Das Zitat steht im Zusammenhang mit der Behandlung einer Patientin von Jung und die Art in der Freud in die Angelegenheit verwickelt ist hinterläßt bei mir (ähnlich wie bei Anna O./Bertha Papenheim) ein ungutes Gefühl.


Stichwort: Psychoanalyse

Kleine Laboratoriumsexplosionen werden bei der Natur des Stoffes, mit dem wir arbeiten, nie zu vermeiden sein.

Sigmund Freud/C. G. Jung: Briefwechsel. (herausgegeben von W. McGuire und W. Sauerländer). Frankfurt/M.: Fischer 1974: 259 (Brief 147 F; Wien 18.6. 1909)


Stichwort: Psychoanalyse

Man darf daher sagen, die psychoanalytische Theorie ist ein Versuch, zwei Erfahrungen verständlich zu machen, die sich in auffälliger und unerwarteter Weise bei dem Versuche ergeben, die Leidenssymptome eines Neurotikers auf ihre Quellen in seiner Lebensgeschichte zurückzuführen: die Tatsache der Übertragung und die des Widerstandes. Jede Forschungsrichtung, welche diese beiden Tatsachen anerkennt und sie zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit nimmt, darf sich Psychoanalyse heißen, auch wenn sie zu anderen Ergebnissen als den meinigen gelangt. Wer aber andere Seiten des Problems in Angriff nimmt und von diesen beiden Voraussetzungen abweicht, der wird dem Vorwurf der Besitzstörung durch versuchte Mimikry kaum entgehen, wenn er darauf beharrt, sich einen Psychoanalytiker zu nennen.

Freud, S. (1914d): Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. GW X: 54


Stichwort: Psychoanalyse

Ich finde mich berechtigt, den Standpunkt zu vertreten, daß auch heute noch, wo ich längst nicht mehr der einzige Psychoanalytiker bin, keiner besser als ich wissen kann, was die Psychoanalyse ist, wodurch sie sich von anderen Weisen, das Seelenleben zu erforschen, unterscheidet, und was mit ihrem Namen belegt werden soll oder besser anders zu benennen ist.

Freud, S. (1914d): Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. GW X: 44


Stichwort: Psychoanalyse

Vorläufig verträgt sich die Psychoanalyse wirklich mit verschiedenen Weltanschauungen. Ob sie aber ihr letztes Wort schon gesprochen hat?

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 322 (Wien, 8.7.1915 an James J. Putnam)


Stichwort: Psychoanalyse

Man könnte von der Psychoanalyse sagen, wer ihr den kleinen Finger gibt, den hält sie schon bei der ganzen Hand.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 197


Stichwort: Psychoanalyse

Die Psychoanalyse war vor allem eine Deutungskunst.

Freud, S. (1920g): Jenseits des Lustprinzips. GW XIII: 16


Stichwort: Psychoanalyse

Die Psychoanalyse ist ein Werkzeug, welches dem Ich die fortschreitende Eroberung des Es ermöglichen soll.

Freud, S. (1923b): Das Ich und das Es. GW XIII: 286


Stichwort: Psychoanalyse

Es ist schwer, Psychoanalyse als Vereinzelter zu treiben. Es ist ein exquisit geselliges Unternehmen. Es wäre doch viel schöner, wir brüllten oder heulten alle miteinander im Chor und im Takt, anstatt daß jeder in seinem Winkel vor sich hin murrt.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 373 (Wien, 21.12.1924 an Georg Groddeck)


Stichwort: Psychoanalyse

Ich habe sie [die Menschen] nicht erfreut, getröstet, erhoben. Ich hatte es gar nicht in Absicht, wollte nur forschen, Rätsel lösen, ein Stück Wahrheit aufdecken. Dies mag vielen wehe, manchen wohlgetan haben, beides nicht meine Schuld, nicht mein Verdienst.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 385 (Wien, 13.05.1926 an Romain Rolland)


Stichwort: Psychoanalyse

»Der Psychoanalytiker muß sich selbst analysieren,« sagte Freud, »durch die Analyse des eigenen Seelenlebens wächst die Fähigkeit, fremdes Seelenleben zu analysieren. Es ist übrigens ein Mißverständnis, wenn man glaubt, daß die Psychoanalyse zu dem Leitsatz »Alles verstehen heißt alles verzeihen« führt. Die Duldsamkeit gegenüber dem Schlechten ist durchaus keine notwendige Ergänzung der Erkenntnis.«

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4


Stichwort: Psychoanalyse

Die psychoanalytische Tätigkeit ist schwierig und anspruchsvoll, sie läßt sich nicht gut handhaben wie die Brille, die man beim Lesen aufsetzt und fürs Spazierengehen ablegt.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXIV. Vorlesung: Aufklärungen, Anwendungen, Orientierungen). GW XV: 164


Stichwort: Psychoanalyse

Mit den anderen Verfahren der Psychotherapie verglichen, ist die Psychoanalyse das über jeden Zweifel mächtigste. Es ist auch recht und billig so, sie ist auch das mühevollste und zeitraubendste, man wird sie in leichten Fällen nicht anwenden; man kann mit ihr in geeigneten Fällen Störungen beseitigen, Änderungen hervorrufen, auf die man in voranalytischen Zeiten nicht zu hoffen wagte. Aber sie hat auch ihre sehr fühlbaren Schranken.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXIV. Vorlesung: Aufklärungen, Anwendungen, Orientierungen). GW XV: 165


Stichwort: Psychoanalyse

Eine richtige Analyse ist ein langsamer Prozeß. Ich habe selbst bei manchen Personen erst nach langen Jahren, allerdings nicht kontinuierlicher Arbeit, den Kern des Problems aufdecken können und wüßte nicht zu sagen, was ich technisch versäumt hatte.

Sigmund Freud-Arnold Zweig. Briefwechsel (herausgegeben v. E. L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 118 (Wien, 13.6.1935)


Stichwort: Psychoanalyse

Nicht, daß ich am Wahrheitsgehalt meiner Lehren selbst zweifelte, aber es fällt mir schwer zu glauben, daß sie einen nachweisbaren Einfluß auf die Entwicklung der näheren Zukunft ausüben können.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 444 (Wien, 18.5.1936 an Stefan Zweig)

Anmerkung: Hier irrte Freud!


Stichwort: Psychoanalyse

Die Analyse ist wie eine Frau, die erobert werden will, aber weiß, daß sie gering geschätzt wird, wenn sie nicht Widerstand leistet.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 465 (London, 20.7.1938 an Stefan Zweig)


Stichwort: Psychoanalyse & Ärzte

Die letzte Maske des Widerstands gegen die Analyse, die ärztlich-professionelle, ist die für die Zukunft gefährlichste.

Freud, S. & Ferenczi, S. (1917-1919): Briefwechsel. Band III/2. (hg. von Ernst Falzeder & Eva Brabant). Wien: Böhlau: 210 (Brief 1161 F, Wien, 27.4.1929)


Stichwort: Psychoanalyse & Ärzte

In der Regel hat die Psychoanalyse den Arzt entweder ganz oder gar nicht. Die Psychotherapeuten, die sich gelegentlich auch der Analyse bedienen, stehen nach meiner Kenntnis nicht auf sicherem analytischen Boden; sie haben nicht die ganze Analyse angenommen, sondern sie verwässert, vielleicht »entgiftet«; man kann sie nicht zu den Analytikern zählen. Ich meine, das ist bedauerlich; aber ein Zusammenwirken in der ärztlichen Tätigkeit eines Analytikers mit einem Psychotherapeuten, der sich auf die anderen Methoden des Fachs beschränkt, wäre durchaus zweckmäßig.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXIV. Vorlesung: Aufklärungen, Anwendungen, Orientierungen). GW XV: 164f


Stichwort: Psychoanalyse & Alter

Auch eine Altersstufe in der Nähe des fünften Dezenniums schafft ungünstige Bedingungen für die Psychoanalyse. Die Masse des psychischen Materials ist dann nicht mehr zu bewältigen, die zur Herstellung erforderliche Zeit wird zu lang, und die Fähigkeit, psychische Vorgänge rückgängig zu machen, beginnt zu erlahmen.

Das Alter der Kranken spielt bei der Auswahl zur psychoanalytischen Behandlung insofern eine Rolle, als bei Personen nahe an oder über fünfzig Jahre einerseits die Plastizität der seelischen Vorgänge zu fehlen pflegt, auf welche die Therapie rechnet – alte Leute sind nicht mehr erziehbar – und als andererseits das Material, welches durchzuarbeiten ist, die Behandlungsdauer ins Unabsehbare verlängert. Die Altersgrenze nach unten ist nur individuell zu bestimmen; jugendliche Personen noch vor der Pubertät sind oft ausgezeichnet zu beeinflussen.

Freud, S. (1904a [1903]): Die Freudsche psychoanalytische Methode. GW V: 9

Freud, S. (1905a [1904]): Über Psychotherapie. GW V: 21f

Anmerkung: Freud ist zu diesem Zeitpunkt 47/48 Jahre alt.


Stichwort: Psychoanalyse & Alter

Wir wissen nur das eine, daß die Eigenschaft der Beweglichkeit psychischer Besetzungen mit dem Lebensalter auffällig zurückgeht. Sie hat uns eine der Indikationen für die Grenzen der psychoanalytischen Beeinflussung geliefert. Es gibt aber Personen, bei denen diese psychische Plastizität weit über die gewöhnliche Altersgrenze hinaus bestehen bleibt, und andere, bei denen sie sehr frühzeitig verloren geht.

Freud, S. (1918b [1914]): Aus der Geschichte einer infantilen Neurose. GW XII: 151

Anmerkung: Freud ist zu diesem Zeitpunkt 58 Jahre alt.


Stichwort: Psychoanalyse & Alter

»Gewiß, es gibt zahlreiche Schranken der psychoanalytischen Behandlung. Vor allem organische Veränderungen, ferner die Altersgrenze. Denn die Psyche eines Menschen, der das fünfzigste Lebensjahr überschritten hat, wird verhältnismäßig unnachgiebig. In diesem Fall ist das zu erforschende angehäufte psychische Material ungeheuer und läßt sich kaum mehr bewältigen. Die Behandlung ist also in gewisser Hinsicht dem Alter proportional und das Problem wird in vorgeschrittenen Jahren fast unlösbar.«

Sigmund Freud (1932g): Interview: Neurosen als Zeitkrankheit. Welche Heilerfolge hat die Psychoanalyse? (Aus einem Gespräch.). Beilage der »Neuen Freien Presse« vom 14. August 1923, S. 21)

Anmerkung: Freud ist zu diesem Zeitpunkt 76 Jahre alt.


Stichwort: Psychoanalyse & Amerika

»Es ist übrigens sonderbar, daß nicht Europa, sondern Amerika von meiner Lehre zuerst gewissermaßen offiziell Kenntnis genommen hat. Trotzdem hat Amerika eigentlich nur wenig schöpferische Beiträge zur Psychoanalyse geliefert und sich, wie es seiner geistigen Veranlagung entspricht, mehr mit der Verbreitung meiner Lehre begnügt. Übrigens versuchen die Ärzte in den Vereinigten Staaten ebenso wie gelegentlich auf dem Kontinent, die Psychoanalyse für sich zu monopolisieren. Mir aber scheint es als eine Gefahr für die Psychoanalyse, sie ausschließlich in der Hand von Ärzten zu wissen, weil eine bloß medizinische Ausbildung oft genug eine Hemmung für den Psychoanalytiker bedeutet. Es ist eben immer ein Hindernis, wenn gewisse altüberkommene wissenschaftliche Begriffe im Gehirn eines Studierenden allzu feste Wurzel fassen.«

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4


Stichwort: Psychoanalyse & Archäologie

Aber wie der Archäologe aus stehengebliebenen Mauerresten die Wandungen des Gebäudes aufbaut, aus Vertiefungen im Boden die Anzahl und Stellung von Säulen bestimmt, aus den im Schutt gefundenen Resten die einstigen Wandverzierungen und Wandgemälde wiederherstellt, genau so geht der Analytiker vor, wenn er seine Schlüsse aus Erinnerungsbrocken, Assoziationen und aktiven Äußerungen des Analysierten zieht. Beiden bleibt das Recht zur Rekonstruktion durch Ergänzung und Zusammenfügung der erhaltenen Reste unbestritten. Auch manche Schwierigkeiten und Fehlerquellen sind für beide Fälle die nämlichen. Eine der heikelsten Aufgaben der Archäologie ist bekanntlich die Bestimmung des relativen Alters eines Fundes, und wenn ein Objekt in einer bestimmten Schicht zum Vorschein kommt, bleibt es oft zu entscheiden, ob es dieser Schicht angehört oder durch eine spätere Störung in die Tiefe geraten ist. Es ist leicht zu erraten, was bei den analytischen Konstruktionen diesem Zweifel entspricht.

Freud, S. (1937d): Konstruktionen in der Analyse. GW XVI: 45f


Stichwort: Psychoanalyse & Denken

Das Denken muß sich für die Verbindungswege zwischen den Vorstellungen interessieren, ohne sich durch die Intensitäten derselben beirren zu lassen.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 607f


Stichwort: Psychoanalyse & Kränkung der Menschheit

Mit zweien ihrer Aufstellungen beleidigt die Psychoanalyse die ganze Welt und zieht sich deren Abneigung zu; die eine davon verstößt gegen ein intellektuelles, die andere gegen ein ästhetisch-moralisches Vorurteil. (…)

Die erste dieser unliebsamen Behauptungen der Psychoanalyse besagt, daß die seelischen Vorgänge an und für sich unbewußt sind und die bewußten bloß einzelne Akte und Anteile des ganzen Seelenlebens. Erinnern Sie sich, daß wir im Gegenteile gewöhnt sind, Psychisches und Bewußtes zu identifizieren. (…)

Ebensowenig können Sie ahnen, ein wie inniger Zusammenhang diese erste Kühnheit der Psychoanalyse mit der nun zu erwähnenden zweiten verknüpft. Dieser andere Satz, den die Psychoanalyse als eines ihrer Ergebnisse verkündet, enthält nämlich die Behauptung, daß Triebregungen, welche man nur als sexuelle im engeren wie im weiteren Sinn bezeichnen kann, eine ungemein große und bisher nie genug gewürdigte Rolle in der Verursachung der Nerven- und Geisteskrankheiten spielen. Ja noch mehr, daß dieselben sexuellen Regungen auch mit nicht zu unterschätzenden Beiträgen an den höchsten kulturellen, künstlerischen und sozialen Schöpfungen des Menschengeistes beteiligt sind.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 14f


Stichwort: Psychoanalyse & Kränkung der Menschheit

Mit dieser Hervorhebung des Unbewußten im Seelenleben haben wir aber die bösesten Geister der Kritik gegen die Psychoanalyse aufgerufen. Wundern Sie sich darüber nicht und glauben Sie auch nicht, daß der Widerstand gegen uns nur an der begreiflichen Schwierigkeit des Unbewußten oder an der relativen Unzugänglichkeit der Erfahrungen gelegen ist, die es erweisen. Ich meine, er kommt von tiefer her. Zwei große Kränkungen ihrer naiven Eigenliebe hat die Menschheit im Laufe der Zeiten von der Wissenschaft erdulden müssen. Die erste, als sie erfuhr, daß unsere Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist, sondern ein winziges Teilchen eines in seiner Größe kaum vorstellbaren Weltsystems. Sie knüpft sich für uns an den Namen Kopernikus, obwohl schon die alexandrinische Wissenschaft ähnliches verkündet hatte. Die zweite dann, als die biologische Forschung das angebliche Schöpfungsvorrecht des Menschen zunichte machte, ihn auf die Abstammung aus dem Tierreich und die Unvertilgbarkeit seiner animalischen Natur verwies. Diese Umwertung hat sich in unseren Tagen unter dem Einfluß von Ch. Darwin, Wallace, und ihren Vorgängern nicht ohne das heftigste Sträuben der Zeitgenossen vollzogen. Die dritte und empfindlichste Kränkung aber soll die menschliche Größensucht durch die heutige psychologische Forschung erfahren, welche dem Ich nachweisen will, daß es nicht einmal Herr ist im eigenen Hause, sondern auf kärgliche Nachrichten angewiesen bleibt von dem, was unbewußt in seinem Seelenleben vorgeht.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 294f


Stichwort: Psychoanalyse & Kränkung der Menschheit

So wollte die Psychoanalyse das Ich belehren. Aber die beiden Aufklärungen, daß das Triebleben der Sexualität in uns nicht voll zu bändigen ist, und daß die seelischen Vorgänge an sich unbewußt sind und nur durch eine unvollständige und unzuverlässige Wahrnehmung dem Ich zugänglich und ihm unterworfen werden, kommen der Behauptung gleich, daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus. Sie stellen miteinander die dritte Kränkung der Eigenliebe dar, die ich die psychologische nennen möchte. Kein Wunder daher, daß das Ich der Psychoanalyse nicht seine Gunst zuwendet und ihr hartnäckig den Glauben verweigert.

Freud, S. (1917a): Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse. GW XII: 11


Stichwort: Psychoanalyse & Kränkung der Menschheit

Überschaut man nochmals die beschriebenen Widerstände gegen die Psychoanalyse, so muß man sagen, nur ihr kleinerer Anteil ist von der Art, wie er sich gegen die meisten wissenschaftlichen Neuerungen von einigem Belang zu erheben pflegt. Der größere Anteil rührt davon her, daß durch den Inhalt der Lehre starke Gefühle der Menschheit verletzt worden sind. Dasselbe erfuhr ja auch die Darwinsche Deszendenztheorie, welche die vom Hochmut geschaffene Scheidewand zwischen Mensch und Tier niederriß. Ich habe auf diese Analogie in einem früheren kurzen Aufsatz (»Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse«, Imago 1917 (...)) hingewiesen. Ich betonte dort, daß die psychoanalytische Auffassung vom Verhältnis des bewußten Ichs zum übermächtigen Unbewußten eine schwere Kränkung der menschlichen Eigenliebe bedeute, die ich die psychologische nannte und an die biologische Kränkung durch die Deszendenzlehre und die frühere kosmologische durch die Entdeckung des Kopernikus anreihte.

Freud, S. (1925e): Die Widerstände gegen die Psychoanalyse. GW XIV: 109


Stichwort: Psychoanalyse & Medizin & Psychiatrie

Wir halten es nämlich gar nicht für wünschenswert, daß die Psychoanalyse von der Medizin verschluckt werde und dann ihre endgiltige Ablagerung im Lehrbuch der Psychiatrie finde, im Kapitel Therapie, neben Verfahren wie hypnotische Suggestion, Autosuggestion, Persuasion, die, aus unserer Unwissenheit geschöpft, ihre kurzlebigen Wirkungen der Trägheit und Feigheit der Menschenmassen danken. Sie verdient ein besseres Schicksal und wird es hoffentlich haben. Als »Tiefenpsychologie«, Lehre vom seelisch Unbewußten, kann sie all den Wissenschaften unentbehrlich werden, die sich mit der Entstehungsgeschichte der menschlichen Kultur und ihrer großen Institutionen wie Kunst, Religion und Gesellschaftsordnung beschäftigen.

Freud, S. (1926e): Die Frage der Laienanalyse. GW XIV: 283


Stichwort: Psychoanalyse & Sexualität (siehe auch: Sexualität)

(...) aber ich kann es nur immer wieder von neuem wiederholen, weil ich es niemals anders finde, daß die Sexualität der Schlüssel zum Problem der Psychoneurosen wie der Neurosen überhaupt ist. Wer ihn verschmäht, wird niemals aufzuschließen imstande sein.

Freud, S. (1905e): Bruchstücke einer Hysterie-Analyse. GW V: 278


Stichwort: Psychoanalyse & Sexualität

Es kann aber dem Arzt nicht unbekannt geblieben sein, daß man der Psychoanalyse den Vorwurf zu machen pflegt, sie dehne den Begriff des Sexuellen weit über den gebräuchlichen Umfang aus. Die Tatsache ist richtig; ob sie als Vorwurf verwendet werden darf, soll hier nicht erörtert werden. Der Begriff des Sexuellen umfaßt in der Psychoanalyse weit mehr; er geht nach unten wie nach oben über den populären Sinn hinaus. Diese Erweiterung rechtfertigt sich genetisch; wir rechnen zum »Sexualleben« auch alle Betätigungen zärtlicher Gefühle, die aus der Quelle der primitiven sexuellen Regungen hervorgegangen sind, auch wenn diese Regungen eine Hemmung ihres ursprünglich sexuellen Zieles erfahren oder dieses Ziel gegen ein anderes, nicht mehr sexuelles, vertauscht haben. Wir sprechen darum auch lieber von Psychosexualität, legen so Wert darauf, daß man den seelischen Faktor des Sexuallebens nicht übersehe und nicht unterschätze. Wir gebrauchen das Wort Sexualität in demselben umfassenden Sinne, wie die deutsche Sprache das Wort »lieben«. Wir wissen auch längst, daß seelische Unbefriedigung mit allen ihren Folgen bestehen kann, wo es an normalem Sexualverkehr nicht mangelt, und halten uns als Therapeuten immer vor, daß von den unbefriedigten Sexualstrebungen, deren Ersatzbefriedigungen in der Form nervöser Symptome wir bekämpfen, oft nur ein geringes Maß durch den Koitus oder andere Sexualakte abzuführen ist.

Freud, S. (1910k): Über »wilde« Psychoanalyse. GW VIII: 120f


Stichwort: Psychoanalyse & Sexualität

»Ich habe gewiß viele Fehler begangen, aber das Schwergewicht, das ich in meiner Lehre auf die Sexualität gelegt habe, war gewiß kein Fehler. Weil der Geschlechtstrieb so stark ist, deswegen kommt er immer wieder mit den Konventionen und Sicherungen der Zivilisation in Widerspruch. Wenn die Menschheit seine Bedeutung zu leugnen versucht, so tut sie das nur in einer Art von Selbstverteidigung. Man mag irgendeine beliebige menschliche Gefühlsregung analysieren, die von der Sphäre der Sexualität noch so weit entfernt ist, so wird man unumgänglich als ihren ursprünglichen Impuls die Sexualität finden, der das Leben seine eigene Fortdauer verdankt.«

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4

Anmerkung: Zuvor äußert sich Freud nicht sehr positiv über George B. Shaw und meinte einleitend und lächelnd: »Shaw hat keine geistige Beziehung zur Sexualität


Stichwort: Psychoanalyse & Tiefenpsychologie

Diese [die Traumlehre] nimmt in der Geschichte der Psychoanalyse eine besondere Stelle ein, bezeichnet einen Wendepunkt; mit ihr hat die Analyse den Schritt von einem psychotherapeutischen Verfahren zu einer Tiefenpsychologie vollzogen.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXIX. Revision der Traumlehre). GW XV: 6


Stichwort: Psychoanalyse & Tiefenpsychologie

Die Psychoanalyse ist ein Stück der Seelenkunde der Psychologie. Man nennt sie auch »Tiefenpsychologie« (…).

Freud, S. (1940b): Some elementary Lessons in Psycho-Analysis. GW XVII: 142


Stichwort: Psychoanalyse, Traum & Verbrechen

(siehe auch: Traum, Verbrechen und & Psychoanalyse und Verbrechen, Traum & Psychoanalyse)

Ist Ihnen nicht bekannt, wie unbeherrscht und unzuverlässig der Durchschnitt der Menschen in allen Angelegenheiten des Sexuallebens ist? Oder wissen Sie nicht, daß alle Übergriffe und Ausschreitungen, von denen wir nächtlich träumen, alltäglich von wachen Menschen als Verbrechen wirklich begangen werden? Was tut die Psychoanalyse hier anders als das alte Wort von Plato bestätigen, daß die Guten diejenigen sind, welche sich begnügen, von dem zu träumen, was die anderen, die Bösen wirklich tun?

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 147


Stichwort: Psychoanalyse & Unabhängigkeit, Tendenzlosigkeit

Zurückhaltung, wir taugen zu keiner Art von offiziellem Dasein, brauchen unsere Unabhängigkeit nach allen Seiten. Vielleicht haben auch wir Grund zu sagen: Gott schütze uns vor unseren Freunden. Mit den Feinden sind wir ja bisher fertig geworden. Auch gibt es ein Nachher, in dem wir wiederum Platz finden müssen. Wir sind und bleiben tendenzlos bis auf das eine: zu erforschen und zu helfen.

Freud, S. & Ferenczi, S. (1917-1919): Briefwechsel. Band II/2. (hg. von Ernst Falzeder & Eva Brabant). Wien: Böhlau: 229 (Brief 808 F, Wien, 20.4.1919)


Stichwort: Psychoanalyse & Wirksamkeit

Die therapeutische Wirksamkeit der Psychoanalyse bleibt durch eine Reihe von bedeutsamen und kaum angreifbaren Momenten beengt. Beim Kind, wo man auf die größten Erfolge rechnen könnte, sind es die äußerlichen Schwierigkeiten der Elternsituation, die aber doch zum Kindsein gehören. Beim Erwachsenen sind es in erster Linie zwei Momente, das Maß von psychischer Erstarrung und die Krankheitsform mit allem, was sie an tieferen Bestimmungen deckt. Das erste Moment wird mit Unrecht oft übersehen. So groß die Plastizität des seelischen Lebens und die Möglichkeit der Auffrischung alter Zustände auch ist, es läßt sich nicht alles wieder beleben. Manche Veränderungen scheinen endgültig, entsprechen Narbenbildungen nach abgelaufenen Prozessen. Andere Male empfängt man den Eindruck einer allgemeinen Erstarrung des Seelenlebens; die psychischen Vorgänge, die man sehr wohl auf andere Wege weisen könnte, scheinen unfähig, die alten Wege zu verlassen.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXIV. Vorlesung: Aufklärungen, Anwendungen, Orientierungen). GW XV: 166


Stichwort: Psychoanalyse & Wirksamkeit

Man hat den Eindruck, daß man nicht überrascht sein dürfte, wenn sich am Ende herausstellt, daß der Unterschied zwischen dem nicht Analysierten und dem späteren Verhalten des Analysierten doch nicht so durchgreifend ist, wie wir es erstreben, erwarten und behaupten.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 72


Stichwort: Psychoanalyse & Zukunft

Die Psychoanalyse hat wenig Aussicht, beliebt oder populär zu werden. Nicht nur, dass manche ihrer Inhalte die Gefühle vieler Menschen beleidigen, fast ebenso störend wirkt es, dass unsere Wissenschaft einige Annahmen einschliesst, die – man weiss nicht, soll man sie zu den Moralbesetzungen oder zu den Ergebnissen unserer Arbeit rechnen – dem gewohnten Denken der Menge höchst fremdartig erscheinen müssen und herrschenden Ansichten gründlich widersprechen.

Freud, S. (1940b): Some elementary Lessons in Psycho-Analysis. GW XVII: 142


Stichwort: Psychoanalytiker & Befähigung zum Beruf

Wir haben, seitdem eine größere Anzahl von Personen die Psychoanalyse üben und ihre Erfahrungen untereinander austauschen, bemerkt, daß jeder Psychoanalytiker nur so weit kommt, als seine eigenen Komplexe und inneren Widerstände es gestatten, und verlangen daher, daß er seine Tätigkeit mit einer Selbstanalyse beginne, und diese, während er seine Erfahrungen an Kranken macht, fortlaufend vertiefe. Wer in einer solchen Selbstanalyse nichts zustande bringt, mag sich die Fähigkeit, Kranke analytisch zu behandeln, ohne weiteres absprechen.

Freud, S. (1910d): Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie: GW VIII: 108


Stichwort: Psychoanalytiker, Befähigung zum Beruf & Lehranalyse (siehe auch: Lehranalyse)

Was an mir noch erfreulich ist, heißt Anna. Bemerkenswert wieviel Einfluß und Autorität sie unter der analytischen Menge gewonnen hat, – leider viele davon von der Analyse wenig veränderter Menschenstoff.

S. Freud & Lou Andreas- Salomé (1935): Briefwechsel. Frankfurt/M.: Fischer 1966: 222 (Brief vom 6.1.1935)


Stichwort: Psychoanalytiker, Befähigung zum Beruf & Lehranalyse (siehe auch: Lehranalyse und Endliche & unendliche Analyse)

Ein inhaltreicher Vortrag, den S. Ferenczi 1927 gehalten, »Das Problem der Beendigung der Analysen«,(…) schließt mit der tröstlichen Versicherung, »daß die Analyse kein endloser Prozeß ist, sondern bei entsprechender Sachkenntnis und Geduld des Analytikers zu einem natürlichen Abschluß gebracht werden kann«. Ich meine, im ganzen kommt dieser Aufsatz doch einer Mahnung gleich, sich nicht die Abkürzung, sondern die Vertiefung der Analyse zum Ziel zu setzen. Ferenczi fügt noch die wertvolle Bemerkung an, es sei so sehr entscheidend für den Erfolg, daß der Analytiker aus seinen eigenen »Irrungen und Irrtümern« genügend gelernt und die »schwachen Punkte der eigenen Persönlichkeit« in seine Gewalt bekommen habe. Das ergibt eine wichtige Ergänzung zu unserem Thema. Nicht nur die Ichbeschaffenheit des Patienten, auch die Eigenart des Analytikers fordert ihre Stelle unter den Momenten, die die Aussichten der analytischen Kur beeinflussen und dieselbe nach Art der Widerstände erschweren.

Es ist unbestreitbar, daß die Analytiker in ihrer eigenen Persönlichkeit nicht durchwegs das Maß von psychischer Normalität erreicht haben, zu dem sie ihre Patienten erziehen wollen. Gegner der Analyse pflegen auf diese Tatsache höhnend hinzuweisen und sie als Argument für die Nutzlosigkeit der analytischen Bemühung zu verwerten. Man könnte diese Kritik als ungerechte Anforderung zurückweisen. Analytiker sind Personen, die eine bestimmte Kunst auszuüben gelernt haben und daneben Menschen sein dürfen wie auch andere. Man behauptet doch sonst nicht, daß jemand zum Arzt für interne Krankheiten nicht taugt, wenn seine internen Organe nicht gesund sind; man kann im Gegenteil gewisse Vorteile dabei finden, wenn ein selbst von Tuberkulose Bedrohter sich in der Behandlung von Tuberkulösen spezialisiert. Aber die Fälle liegen doch nicht gleich. Der lungen- oder herzkranke Arzt wird, insoweit er überhaupt leistungsfähig geblieben ist, durch sein Kranksein weder in der Diagnostik noch in der Therapie interner Leiden behindert sein, während der Analytiker infolge der besonderen Bedingungen der analytischen Arbeit durch seine eigenen Defekte wirklich darin gestört wird, die Verhältnisse des Patienten richtig zu erfassen und in zweckdienlicher Weise auf sie zu reagieren. Es hat also seinen guten Sinn, wenn man vom Analytiker als Teil seines Befähigungsnachweises ein höheres Maß von seelischer Normalität und Korrektheit fordert; dazu kommt noch, daß er auch eine gewisse Überlegenheit benötigt, um auf den Patienten in gewissen analytischen Situationen als Vorbild, in anderen als Lehrer zu wirken. Und endlich ist nicht zu vergessen, daß die analytische Beziehung auf Wahrheitsliebe, d.h. auf die Anerkennung der Realität gegründet ist und jeden Schein und Trug ausschließt. (...).

Daß der zukünftige Analytiker ein vollkommener Mensch sei, ehe er sich mit der Analyse beschäftigt hat, also daß nur Personen von so hoher und so seltener Vollendung sich diesem Beruf zuwenden, kann man offenbar nicht verlangen. Wo und wie soll aber der Ärmste sich jene ideale Eignung erwerben, die er in seinem Berufe brauchen wird? Die Antwort wird lauten: in der Eigenanalyse, mit der seine Vorbereitung für seine zukünftige Tätigkeit beginnt. Aus praktischen Gründen kann diese nur kurz und unvollständig sein, ihr hauptsächlicher Zweck ist, dem Lehrer ein Urteil zu ermöglichen, ob der Kandidat zur weiteren Ausbildung zugelassen werden kann. Ihre Leistung ist erfüllt, wenn sie dem Lehrling die sichere Überzeugung von der Existenz des Unbewußten bringt, ihm die sonst unglaubwürdigen Selbstwahrnehmungen beim Auftauchen des Verdrängten vermittelt und ihm an einer ersten Probe die Technik zeigt, die sich in der analytischen Tätigkeit allein bewährt hat.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 93ff


Stichwort: Psychoanalytiker, (mangelnde?) Befähigung zum Beruf & Lehr- und Eigenanalyse (siehe auch: Lehranalyse)

Ihre Leistung [Lehranalyse] ist erfüllt, wenn sie dem Lehrling die sichere Überzeugung von der Existenz des Unbewußten bringt, ihm die sonst unglaubwürdigen Selbstwahrnehmungen beim Auftauchen des Verdrängten vermittelt und ihm an einer ersten Probe die Technik zeigt, die sich in der analytischen Tätigkeit allein bewährt hat. Dies allein würde als Unterweisung nicht ausreichen, allein man rechnet darauf, daß die in der Eigenanalyse erhaltenen Anregungen mit deren Aufhören nicht zu Ende kommen, daß die Prozesse der Ichumarbeitung sich spontan beim Analysierten fortsetzen und alle weiteren Erfahrungen in dem neu erworbenen Sinn verwenden werden. Das geschieht auch wirklich, und soweit es geschieht, macht es den Analysierten tauglich zum Analytiker.

Es ist bedauerlich, daß außerdem noch anderes geschieht. Man bleibt auf Eindrücke angewiesen, wenn man dies beschreiben will; Feindseligkeit auf der einen, Parteilichkeit auf der anderen Seite schaffen eine Atmosphäre, die der objektiven Erforschung nicht günstig ist. Es scheint also, daß zahlreiche Analytiker es erlernen, Abwehrmechanismen anzuwenden, die ihnen gestatten, Folgerungen und Forderungen der Analyse von der eigenen Person abzulenken, wahrscheinlich indem sie sie gegen andere richten, so daß sie selbst bleiben, wie sie sind, und sich | dem kritisierenden und korrigierenden Einfluß der Analyse entziehen können. Es mag sein, daß dieser Vorgang dem Dichter recht gibt, der uns mahnt, wenn einem Menschen Macht verliehen wird, falle es ihm schwer, sie nicht zu mißbrauchen.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 95


Stichwort: Psychoanalytiker, unmöglicher Beruf

Machen wir einen Moment halt, um den Analytiker unserer aufrichtigen Anteilnahme zu versichern, daß er bei Ausübung seiner Tätigkeit so schwere Anforderungen erfüllen soll. Es hat doch beinahe den Anschein, als wäre das Analysieren der dritte jener »unmöglichen« Berufe, in denen man des ungenügenden Erfolgs von vornherein sicher sein kann. Die beiden anderen, weit länger bekannten, sind das Erziehen und das Regieren.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 94


Stichwort: Psychoanalytiker & Neurose

Es ist unter uns Analytikern ausgemacht, daß keiner sich seines Stückes Neurose zu schämen braucht. Wer aber bei abnormem Benehmen unaufhörlich schreit, er sei normal, erweckt den Verdacht, daß ihm die Krankheitseinsicht fehlt.

Sigmund Freud/C. G. Jung: Briefwechsel. (herausgegeben von W. McGuire und W. Sauerländer). Frankfurt/M.: Fischer 1974: 598f (Brief 342 F; 3.1.1913)

Anmerkung: Die Bemerkung geht in Richtung Jungs - es ist der Brief der den endgültigen Bruch zwischen Freud und Jung markiert, denn Freud schreibt im folgenden Satz: "Ich schlage Ihnen also vor, daß wir unsere privaten Beziehungen überhauprt aufgeben". In den vorausgehenden Briefen hatte sich Jung gegen die Deutung eines Verschreibers durch Freud gewehrt und ihm vorgeworfen, er behandle seine Schüler wie Patienten (594 Brief 338 J; 18.12.1912)


Stichwort: Psychoanalytiker & Neurose

Wer mit dem Wesen der Neurose vertraut ist, wird nicht erstaunt sein zu hören, daß auch derjenige, der sehr wohl befähigt ist, die Psychoanalyse an anderen auszuüben, sich benehmen kann wie ein anderer Sterblicher und die intensivsten Widerstände zu produzieren imstande ist, sobald er selbst zum Objekte der Psychoanalyse gemacht wird. Man bekommt dann wieder einmal den Eindruck der psychischen Tiefendimension und findet nichts Überraschendes daran, daß die Neurose in psychischen Schichten wurzelt, bis zu denen die analytische Bildung nicht hinabgedrungen ist.

Freud, S. (1913c): Zur Einleitung der Behandlung (1913) GW VIII: 458


Stichwort: Psychoanalytisches Gespräch

Das Gespräch, in dem die psychoanalytische Behandlung besteht, verträgt keinen Zuhörer; es läßt sich nicht demonstrieren. Man kann natürlich auch einen Neurastheniker oder Hysteriker in einer psychiatrischen Vorlesung den Lernenden vorstellen. Er erzählt dann von seinen Klagen und Symptomen, aber auch von nichts anderem. Die Mitteilungen, deren die Analyse bedarf, macht er nur unter der Bedingung einer besonderen Gefühlsbindung an den Arzt; er würde verstummen, sobald er einen einzigen, ihm indifferenten Zeugen bemerkte. Denn diese Mitteilungen betreffen das Intimste seines Seelenlebens, alles was er als sozial selbständige Person vor anderen verbergen muß, und im weiteren alles, was er als einheitliche Persönlichkeit sich selbst nicht eingestehen will.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 10


Stichwort: Psychose

Der Weltuntergang ist die Projektion dieser innerlichen Katastrophe; seine subjektive Welt ist untergegangen, seitdem er ihr seine Liebe entzogen hat. (…) Und der Paranoiker baut sie wieder auf, nicht prächtiger zwar, aber wenigstens so, dass er wieder in ihr leben kann. (…) Was wir für die Krankheitsproduktion halten, die Wahnbildung, ist in Wirklichkeit der Heilungsversuch, die Rekonstruktion. Diese gelingt nach der Katastrophe mehr oder minder gut, niemals völlig.

Freud, S. (1911c): Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia paranoides). GW XIII: 307f


Stichwort: Psychose (siehe auch: Indikation)

Schon die durchgängige Unzugänglichkeit der Psychosen für die analytische Therapie sollte bei deren naher Verwandtschaft mit den Neurosen unsere Ansprüche bei diesen letzteren einschränken. (...) Gar zu häufig glaubt man zu verspüren, daß es der Therapie nur an der erforderlichen Triebkraft fehlt, um die Änderung durchzusetzen. Eine bestimmte Abhängigkeit, eine gewisse Triebkomponente ist zu stark im Vergleich mit den Gegenkräften, die wir mobil machen können. Ganz allgemein ist es so bei den Psychosen. Wir verstehen sie soweit, daß wir wohl wüßten, wo die Hebel anzusetzen wären, aber sie könnten die Last nicht bewegen.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXIV. Vorlesung: Aufklärungen, Anwendungen, Orientierungen). GW XV: 166


Stichwort: Psychose & Wahn

Ich liebe ihn ja nicht – ich hasse ihn ja – weil er mich verfolgt.

Freud, S. (1911c): Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia paranoides). GW XIII: 299

Anmerkung: Freud bezieht sich hier auf den dem Verfolgungswahn (Schrebers) zugrundeliegenden Mechanismus beim Verfolgungswahn. Die innere Wahrnehmung (ich liebe ihn) wird wegen der Unannehmbarheit (hier: homosexuelle Impulse) negiert (ich hasse ihn) und im Wege der Projektion durch eine äußere Wahrnehmung ersetzt: Er haßt (verfolgt) mich, was mich dann dazu berechtigt, ihn zu hassen.


Stichwort: Psychose & Wahn

Auch der psychiatrische Wahn enthält ein Stückchen Wahrheit, und die Überzeugung des Kranken greift von dieser Wahrheit aus auf die wahnhafte Umhüllung über.

Freud, S. (1939a): Der Mann Moses und die monotheistische Religion. GW XVI: 239


Stichwort: Religion (siehe auch: Ich, Es & Über-Ich)

Es ist leicht zu zeigen, daß das Ichideal allen Ansprüchen genügt, die an das höhere Wesen im Menschen gestellt werden. Als Ersatzbildung für die Vatersehnsucht enthält es den Keim, aus dem sich alle Religionen gebildet haben. Das Urteil der eigenen Unzulänglichkeit im Vergleich des Ichs mit seinem Ideal ergibt das demütige religiöse Empfinden, auf das sich der sehnsüchtig Gläubige beruft.

Freud, S. (1923b): Das Ich und das Es. GW XIII: 265


Stichwort: Religion (siehe auch: Leben & Sinn)

Es ist wiederum nur die Religion, die die Frage nach einem Zweck des Lebens zu beantworten weiß. Man wird kaum irren zu entscheiden, daß die Idee eines Lebenszweckes mit dem religiösen System steht und fällt.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 433


Stichwort: Religion

Wenn der Gläubige sich endlich genötigt findet, von Gottes »unerforschlichem Ratschluß« zu reden, so gesteht er damit ein, daß ihm als letzte Trostmöglichkeit und Lustquelle im Leiden nur die bedingungslose Unterwerfung übriggeblieben ist. Und wenn er zu dieser bereit ist, hätte er sich wahrscheinlich den Umweg ersparen können.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 444


Stichwort: Religion (siehe auch: Sozialisten)

Die Ethik, die sich an die Religion anlehnt, läßt hier ihre Versprechungen eines besseren Jenseits eingreifen. Ich meine, solange sich die Tugend nicht schon auf Erden lohnt, wird die Ethik vergeblich predigen.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 504


Stichwort: Religion

Es scheint nicht zuzutreffen, daß es eine Macht im Weltall gibt, die mit elterlicher Sorgfalt über das Wohlergehen des Einzelnen wacht und alles, was ihn betrifft, zu glücklichem Ende leitet. Vielmehr sind die Schicksale der Menschen weder mit der Annahme der Weltgüte noch mit der – ihr zum Teil widersprechenden – einer Weltgerechtigkeit zu vereinen. (...) Dunkle, fühllose und lieblose Mächte bestimmen das menschliche Schicksal; das System von Belohnungen und Strafen, dem die Religion die Weltherrschaft zugeschrieben hat, scheint nicht zu existieren. (...)

Den letzten Beitrag zur Kritik der religiösen Weltanschauung hat die Psychoanalyse geleistet, indem sie auf den Ursprung der Religion aus der kindlichen Hilflosigkeit hinwies und ihre Inhalte aus den ins reife Leben fortgesetzten Wünschen und Bedürfnissen der Kinderzeit ableitete. Das bedeutete nicht gerade eine Widerlegung der Religion, aber es war doch eine notwendige Abrundung unseres Wissens um sie und wenigstens in einem Punkt ein Widerspruch, da sie selbst göttliche Abkunft für sich in Anspruch nimmt. Freilich hat sie damit nicht unrecht, wenn man unsere Deutung Gottes annimmt.

Das zusammenfassende Urteil der Wissenschaft über die religiöse Weltanschauung lautet also: Während die einzelnen Religionen miteinander hadern, welche von ihnen im Besitz der Wahrheit sei, meinen wir, daß der Wahrheitsgehalt der Religion überhaupt vernachlässigt werden darf. Religion ist ein Versuch, die Sinneswelt, in die wir gestellt sind, mittels der Wunschwelt zu bewältigen, die wir infolge biologischer und psychologischer Notwendigkeiten in uns entwickelt haben. Aber sie kann es nicht leisten. Ihre Lehren tragen das Gepräge der Zeiten, in denen sie entstanden sind, der unwissenden Kinderzeiten der Menschheit. Ihre Tröstungen verdienen kein Vertrauen. Die Erfahrung lehrt uns: Die Welt ist keine Kinderstube. Die ethischen Forderungen, denen die Religion Nachdruck verleihen will, verlangen vielmehr eine andere Begründung, denn sie sind der menschlichen Gesellschaft unentbehrlich und es ist gefährlich, ihre Befolgung an die religiöse Gläubigkeit zu knüpfen. Versucht man, die Religion in den Entwicklungsgang der Menschheit einzureihen, so erscheint sie nicht als ein Dauererwerb, sondern als ein Gegenstück der Neurose, die der einzelne Kulturmensch auf seinem Wege von der Kindheit zur Reife durchzumachen hat.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXV. Vorlesung: Über eine Weltanschauung). GW XV: 180f


Stichwort: Religion

Das Denkverbot, das die Religion im Dienste ihrer Selbsterhaltung ausgehen läßt, ist auch keineswegs ungefährlich, weder für den Einzelnen noch für die menschliche Gemeinschaft. Die analytische Erfahrung hat uns gelehrt, daß ein solches Verbot, wenn auch ursprünglich auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt, die Neigung hat sich auszubreiten und dann eine Ursache schwerer Hemmungen in der Lebenshaltung der Person wird.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXV. Vorlesung: Über eine Weltanschauung). GW XV: 185


Stichwort: Religion & Christentum

Manchmal habe ich den Eindruck, als begrenze das Christentum allzu eng den Horizont. Es scheint mir auch gelegentlich mehr über den Dingen als in ihnen zu stecken.

Sigmund Freud/C. G. Jung: Briefwechsel. (herausgegeben von W. McGuire und W. Sauerländer). Frankfurt/M.: Fischer 1974: 507 (Brief 280 F; 12.11. 1911)


Stichwort: Religion & Christentum

Wenn Gottes Sohn sein Leben opfern mußte, um die Menschheit von der Erbsünde zu erlösen, so muß nach der Regel der Talion, der Vergeltung durch Gleiches, diese Sünde eine Tötung, ein Mord gewesen sein. Nur dies konnte zu seiner Sühne das | Opfer eines Lebens erfordern. Und wenn die Erbsünde ein Verschulden gegen Gott-Vater war, so muß das älteste Verbrechen der Menschheit ein Vatermord gewesen sein, die Tötung des Urvaters der primitiven Menschenhorde, dessen Erinnerungsbild später zur Gottheit verklärt wurde.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 346


Stichwort: Religion & Christentum

Die fortdauernde Erinnerung an den Verstorbenen wurde die Grundlage der Annahme anderer Existenzformen, gab ihm die Idee eines Fortlebens nach dem anscheinenden Tode.

Diese späteren Existenzen waren anfänglich nur Anhängsel an die durch den Tod abgeschlossene, schattenhaft, inhaltsleer und bis in späte Zeiten hinauf geringgeschätzt; (...)

Erst später brachten es die Religionen zustande, diese Nachexistenz für die wertvollere, vollgültige auszugeben und das durch den Tod abgeschlossene Leben zu einer bloßen Vorbereitung herabzudrücken. Es war dann nur konsequent, wenn man auch das Leben in die Vergangenheit verlängerte, die früheren Existenzen, die Seelenwanderung und Wiedergeburt ersann, alles in der Absicht, dem Tode seine Bedeutung als Aufhebung des Lebens zu rauben. So frühzeitig hat die Verleugnung des Todes, die wir als konventionell-kulturell bezeichnet haben, ihren Anfang genommen.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 347f


Stichwort: Religion & Christentum

An der Leiche der geliebten Person entstanden nicht nur die Seelenlehre, der Unsterblichkeitsglaube und eine mächtige Wurzel des menschlichen Schuldbewußtseins, sondern auch die ersten ethischen Gebote. Das erste und bedeutsamste Verbot des erwachenden Gewissens lautete: Du sollst nicht töten. Es war als Reaktion gegen die hinter der Trauer versteckte Haßbefriedigung am geliebten Toten gewonnen worden und wurde allmählich auf den ungeliebten Fremden und endlich auch auf den Feind ausgedehnt.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 348f


Stichwort: Religion & Christentum

Nachdem der Apostel Paulus die allgemeine Menschenliebe zum Fundament seiner christlichen Gemeinde gemacht hatte, war die äußerste Intoleranz des Christentums gegen die draußen Verbliebenen eine unvermeidliche Folge geworden;

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 474


Stichwort: Religion & Judentum

Das Volk Israel hatte sich für Gottes bevorzugtes Kind gehalten, und als der große Vater Unglück nach Unglück über dies sein Volk hereinbrechen ließ, wurde es nicht etwa irre an dieser Beziehung oder zweifelte an Gottes Macht und Gerechtigkeit, sondern erzeugte die Propheten, die ihm seine Sündhaftigkeit vorhielten, und schuf aus seinem Schuldbewußtsein die überstrengen Vorschriften seiner Priesterreligion. Es ist merkwürdig, wie anders sich der Primitive benimmt! Wenn er Unglück gehabt hat, gibt er nicht sich die Schuld, sondern dem Fetisch, der offenbar seine Schuldigkeit nicht getan hat, und verprügelt ihn, anstatt sich selbst zu bestrafen.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 486


Stichwort: Religion & Judentum

Angesichts der neuen Verfolgungen fragt man sich wieder, wie der Jude geworden ist, und warum er sich diesen unsterblichen Haß zugezogen hat. Ich hatte bald die Formel heraus: Moses hat den Juden geschaffen, und meine Arbeit bekam den Titel: Der Mann Moses, (...).

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 436 (Wien, 30.9.1934 an Arnold Zweig)


Stichwort: Religion & Judentum & Freud als Jude

Ich mochte zehn oder zwölf Jahre gewesen sein, als mein Vater begann, mich auf seine Spaziergänge mitzunehmen und mir in Gesprächen seine Ansichten über die Dinge dieser Welt zu eröffnen. So erzählte er mir einmal, um mir zu zeigen, in wieviel bessere Zeiten ich gekommen sei als er: Als ich ein junger Mensch war, bin ich in deinem Geburtsort am Samstag in der Straße spazieren gegangen, schön gekleidet, mit einer neuen Pelzmütze auf dem Kopf. Da kommt ein Christ daher, haut mir mit einem Schlag die Mütze in den Kot, und ruft dabei: Jud, herunter vom Trottoir! »Und was hast du getan?« Ich bin auf den Fahrweg gegangen und habe die Mütze aufgehoben, war die gelassene Antwort. Das schien mir nicht heldenhaft von dem großen starken Mann, der mich Kleinen an der Hand führte.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 202f


Stichwort: Religion & Judentum & Freud als Jude (siehe auch: Freud über Freud)

Der Todesfall, so schmerzlich er ist, findet doch keine Lebenseinstellung umzuwerfen. Jahrelang war ich auf den Verlust der Söhne gefaßt, nun kommt der der Tochter; da ich im tiefsten ungläubig bin, habe ich niemand zu beschuldigen und weiß, daß es keinen Ort gibt, wo man eine Klage anbringen könnte.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 346 (Wien, 4.2.1920 an Sándor Ferenczi)

Anmerkung: Freuds zweite Tochter Sophie, von ihm liebevoll als "Sonntagskind" bezeichnet, starb am 25. Januar 1920 mit 27 Jahren an einer schweren Grippe. 1929 schrieb Freud an Ludwig Binswanger, dessen Sohn ebenfalls verstorben war:

Gerade heute wäre meine verstorbene Tochter sechsunddreißig Jahre als geworden. (…).

Man weiß, daß die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 403 (Wien, 19..11.1929 an Ludwig Binswanger)


Stichwort: Religion & Judentum & Freud als Jude

Ich bin am 6. Mai 1856 zu Freiberg in Mähren geboren, einem kleinen Städtchen der heutigen Tschechoslowakei. Meine Eltern waren Juden, auch ich bin Jude geblieben.

Freud, S. (1925d): »Selbstdarstellungen«. GW XIV: 34


Stichwort: Religion & Judentum & Freud als Jude

Endlich darf der Autor in aller Zurückhaltung die Frage aufwerfen, ob nicht seine eigene Persönlichkeit als Jude, der sein Judentum nie verbergen wollte, an der Antipathie der Umwelt gegen die Psychoanalyse Anteil gehabt hat. Ein Argument dieser Art ist nur selten laut geäußert worden, wir sind leider so argwöhnisch geworden, daß wir nicht umhin können, zu vermuten, der Umstand sei nicht ganz ohne Wirkung geblieben. Es ist vielleicht auch kein bloßer Zufall, daß der erste Vertreter der Psychoanalyse ein Jude war. Um sich zu ihr zu bekennen, brauchte es ein ziemliches Maß von Bereitwilligkeit, das Schicksal der Vereinsamung in der Opposition auf sich zu nehmen, ein Schicksal, das dem Juden vertrauter ist als einem anderen.

Freud, S. (1925e): Die Widerstände gegen die Psychoanalyse. GW XIV: 110


Stichwort: Religion & Judentum & Freud als Jude

Daß Sie Juden sind, konnte mir nur erwünscht sein, denn ich war selbst Jude, und es war mir immer nicht nur unwürdig, sondern direkt unsinnig erschienen, es zu verleugnen. Was mich ans Judenum band, war - ich bin schuldig, es zu bekennen - nicht der Glaube, auch nicht der nationale Stolz, denn ich war immer ein Ungäubiger, bin ohne Religion erzogen worden, wenn auch nicht ohne Respekt vor den ethisch genannten Forderungen der menschlichen Kultur. Ein  nationales Hochgefühl habe ich, wenn ich dazu neigte, zu unterdrücken mich bemüht, als unheilvoll und ungerecht, erschreckt durch die warnenden Beispiele der Völker, unter denen wir Juden leben. Aber es blieb genug anderes übrig, was die Anziehung des Judentums und der Juden so unwiderstehlich machte, viele dunkle Gefühlsmächte, umso gewaltiger, je weniger sie sich in Worten erfassen ließen, ebenso wie die klare Bewußtheit der inneren Identität, die Heimlichkeit der gleichen seelischen Konstruktion. Und dazu kam bald die Einsicht, daß ich nur meiner jüdischen Natur die zwei Eigenschaften verdanke, die mir auf meinem schwierigen Lebensweg unerläßlich geworden waren. Weil ich Jude war, fand ich mich frei von vielen Vorurteilen, die andere im Gebrauch ihres Intellekts beschränkten, als Jude war ich dafür vorbereitet, in die Opposition zu gehen und auf das Einvernehmen mit der »kompakten Majorität« zu verzichten.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 381f (6.5.1926 an die Mitglieder des Vereins B'nai B'rith)


Stichwort: Religion & Judentum & Freud als Jude

Wir kamen auf die Rassenfrage zu sprechen.

»Ich spreche die deutsche Sprache,« sagte Freud, »und ich lebe im deutschen Kulturkreis. Ich habe mich so lange in geistiger Beziehung als Deutscher gefühlt, bis ich das Wachstums des Antisemitismus in Deutschland und Österreich beobachten konnte. Seither ziehe ich es vor, mich als Jude zu fühlen.«

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4


Stichwort: Religion & Judentum & Freud als Jude (siehe auch: Freud über Freud)

Ich mache weder im Umgang noch in meinen Schriften ein Geheimnis daraus, daß ich ein durchaus Ungläubiger bin.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 469 (London, 31.10.1938 an Charles Singer)


Stichwort: Religion & ozeanisches Gefühl (siehe auch: ozeanisches Gefühl)

Wenn wir so durchaus bereit sind anzuerkennen, es gebe bei vielen Menschen ein »ozeanisches« Gefühl, und geneigt, es auf eine frühe Phase des Ichgefühls zurückzuführen, erhebt sich die weitere Frage, welchen Anspruch hat dieses Gefühl, als die Quelle der religiösen Bedürfnisse angesehen zu werden.

Mir erscheint dieser Anspruch nicht zwingend. Ein Gefühl kann doch nur dann eine Energiequelle sein, wenn es selbst der Ausdruck eines starken Bedürfnisses ist. Für die religiösen Bedürfnisse scheint mir die Ableitung von der infantilen Hilflosigkeit und der durch sie geweckten Vatersehnsucht unabweisbar, zumal da sich dies Gefühl nicht einfach aus dem kindlichen Leben fortsetzt, sondern durch die Angst vor der Übermacht des Schicksals dauernd erhalten wird. Ein ähnlich starkes Bedürfnis aus der Kindheit wie das nach dem Vaterschutz wüßte ich nicht anzugeben. Damit ist die Rolle des ozeanischen Gefühls, das etwa die Wiederherstellung des uneingeschränkten Narzißmus anstreben könnte, vom Vordergrund abgedrängt. Bis zum Gefühl der kindlichen Hilflosigkeit kann man den Ursprung der religiösen Einstellung in klaren Umrissen verfolgen. Es mag noch anderes dahinterstecken, aber das verhüllt einstweilen der Nebel.

Ich kann mir vorstellen, daß das ozeanische Gefühl nachträglich in Beziehungen zur Religion geraten ist. Dies Eins-sein mit dem All, was als Gedankeninhalt ihm zugehört, spricht uns ja an wie ein erster Versuch einer religiösen Tröstung, wie ein anderer Weg zur Ableugnung der Gefahr, die das Ich als von der Außenwelt drohend erkennt.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 430


Stichwort: Sexualität (siehe auch: Perversionen)

Gerade auf dem Gebiete des Sexuallebens stößt man auf besondere, eigentlich derzeit unlösbare Schwierigkeiten, wenn man eine scharfe Grenze zwischen bloßer Variation innerhalb der physiologischen Breite und krankhaften Symptomen ziehen will.

Freud, Sigmund (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW V: 60


Stichwort: Sexualität

Ein Stückchen weit, bald hier, bald dort, überschreitet jeder von uns die fürs Normale gezogenen engen Grenzen in seinem eigenen Sexualleben.

Freud, S. (1905e): Bruchstücke einer Hysterie-Analyse. GW V: 210


Stichwort: Sexualität (siehe auch: Psychoanalyse & Sexualität)

(...) aber ich kann es nur immer wieder von neuem wiederholen, weil ich es niemals anders finde, daß die Sexualität der Schlüssel zum Problem der Psychoneurosen wie der Neurosen überhaupt ist. Wer ihn verschmäht, wird niemals aufzuschließen imstande sein.

Freud, S. (1905e): Bruchstücke einer Hysterie-Analyse. GW V: 278


Stichwort: Sexualität

Ein gewisses Maß direkter sexueller Befriedigung scheint für die allermeisten Organisationen unerläßlich, und die Versagung dieses individuell variablen Maßes straft sich durch Erscheinungen, die wir infolge ihrer Funktionsschädlichkeit und ihres subjektiven Unlustcharakters zum Kranksein rechnen müssen.

Freud, Sigmund (1908d): Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität. GW VII: 151


Stichwort: Sexualität (siehe auch: Orgasmus & Geschlechtsverkehr)

Die »Schönheit« und der »Reiz« sind ursprünglich Eigenschaften des Sexualobjekts. Es ist bemerkenswert, daß die Genitalien selbst, deren Anblick immer erregend wirkt, doch fast nie als schön beurteilt werden, dagegen scheint der Charakter der Schönheit an gewissen sekundären Geschlechtsmerkmalen zu haften.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 442

Anmerkung: Bereits 1905 in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie beschäftigte Freud dieses Thema :

Die mit der Kultur fortschreitende Verhüllung des Körpers hält die sexuelle Neugierde wach, welche danach strebt, sich das Sexualobjekt durch Enthüllung der verborgenen Teile zu ergänzen, die aber ins Künstlerische abgelenkt (»sublimiert«) werden kann, wenn man ihr Interesse von den Genitalien weg auf die Körperbildung im ganzen zu lenken vermag.1

In der Fußnote heißt es:

Es scheint mir unzweifelhaft, daß der Begriff des »Schönen« auf dem Boden der Sexualerregung wurzelt und ursprünglich das sexuell Reizende (»die Reize«) bedeutet. Es steht im Zusammenhange damit, daß wir die Genitalien selbst, deren Anblick, die stärkste sexuelle Erregung hervorruft, eigentlich niemals »schön« finden können.

Freud, S. (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie GW V: 55


Stichwort: Sexualität & Frauen (siehe auch: Frauen)

Die Bedeutung des Moments der Sexualüberschätzung läßt sich am ehesten beim Manne studieren, dessen Liebesleben allein der Erforschung zugänglich geworden ist, während das des Weibes zum Teil infolge der Kulturverkümmerung, zum anderen Teil durch die konventionelle Verschwiegenheit und Unaufrichtigkeit der Frauen in ein noch undurchdringliches Dunkel gehüllt ist.

Freud, S. (1905d): Drei Abhandlungen zu Sexualtheorie. GW V: 50

Anmerkung: Freud versteht unter "Sexualüberschätzung" die Wertschätzung des Sexualobjekts, die sich nicht alleine auf dessen Genitalien, sondern auf den ganzen Körper (mit der Tendenz alle vom Sexualobjekt ausgehenden Sensationen einzubeziehen). Sie strahlt auch auf das "psychische Gebiet" aus und zeigt sich als "logische(r) Verblendung (Urteilsschwäche)".


Stichwort: Sexualität & Frauen

Ein weiterer Charakter der frühkindlichen Sexualität ist, daß das eigentlich weibliche Geschlechtsglied in ihr noch keine Rolle spielt – es ist für das Kind noch nicht entdeckt. Aller Akzent fällt auf das männliche Glied, alles Interesse richtet sich darauf, ob dies vorhanden ist oder nicht. Vom Geschlechtsleben des kleinen Mädchens wissen wir weniger als von dem des Knaben. Wir brauchen uns dieser Differenz nicht zu schämen; ist doch auch das Geschlechtsleben des erwachsenen Weibes ein dark continent für die Psychologie. Aber wir haben erkannt, daß das Mädchen den Mangel eines dem männlichen gleichwertigen Geschlechtsgliedes schwer empfindet, sich darum für minderwertig hält, und daß dieser »Penisneid« einer ganzen Reihe charakteristisch weiblicher Reaktionen den Ursprung gibt.

Freud, S. (1926e): Die Frage der Laienanalyse. GW XIV: 241


Stichwort: Sexualität & Frauen (siehe auch: Orgasmus & Geschlechtsverkehr)

Wir haben längst verstanden, die Entwicklung der weiblichen Sexualität werde durch die Aufgabe kompliziert, die ursprünglich leitende genitale Zone, die Klitoris, gegen eine neue, die Vagina, aufzugeben.

Freud, S. (1931b): Über die weibliche Sexualität. GW XIV: 517


Stichwort: Sexualität & Psychoanalyse

Der Analytiker lockt den Patienten niemals auf das sexuelle Gebiet, er sagt ihm nicht voraus: es wird sich um die Intimitäten Ihres Geschlechtslebens handeln! Er läßt ihn seine Mitteilungen beginnen, wo es ihm beliebt, und wartet ruhig ab, bis der Patient selbst die geschlechtlichen Dinge anrührt. Ich pflegte meine Schüler immer zu mahnen: Unsere Gegner haben uns angekündigt, daß wir auf Fälle stoßen werden, bei denen das sexuelle Moment keine Rolle spielt; hüten wir uns davor, es in die Analyse einzuführen, verderben wir uns die Chance nicht, einen solchen Fall zu finden. Nun, bis jetzt hat niemand von uns dieses Glück gehabt.

Freud, S. (1926e): Die Frage der Laienanalyse. GW XIV: 235


Stichwort: Sexualität & Psychoanalyse

»Ich habe gewiß viele Fehler begangen, aber das Schwergewicht, das ich in meiner Lehre auf die Sexualität gelegt habe, war gewiß kein Fehler. Weil der Geschlechtstrieb so stark ist, deswegen kommt er immer wieder mit den Konventionen und Sicherungen der Zivilisation in Widerspruch. Wenn die Menschheit seine Bedeutung zu leugnen versucht, so tut sie das nur in einer Art von Selbstverteidigung. Man mag irgendeine beliebige menschliche Gefühlsregung analysieren, die von der Sphäre der Sexualität noch so weit entfernt ist, so wird man unumgänglich als ihren ursprünglichen Impuls die Sexualität finden, der das Leben seine eigene Fortdauer verdankt.«

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4


Stichwort: Skeptiker

Wenn man sich für einen Skeptiker hält, tut man gut daran, gelegentlich auch an seiner Skepsis zu zweifeln.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXX. Vorlesung: Traum und Okkultismus). GW XV: 57


Stichwort: Sozialisten (siehe auch: Religion)

Die Ethik, die sich an die Religion anlehnt, läßt hier ihre Versprechungen eines besseren Jenseits eingreifen. Ich meine, solange sich die Tugend nicht schon auf Erden lohnt, wird die Ethik vergeblich predigen. Es scheint auch mir unzweifelhaft, daß eine reale Veränderung in den Beziehungen der Menschen zum Besitz hier mehr Abhilfe bringen wird als jedes ethische Gebot; doch wird diese Einsicht bei den Sozialisten durch ein neuerliches idealistisches Verkennen der menschlichen Natur getrübt und für die Ausführung entwertet.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 504


Stichwort: Sprache

Wir wollen übrigens das Wort nicht verachten. Es ist doch ein mächtiges Instrument, es ist das Mittel, durch das wir einander unsere Gefühle kundgeben, der Weg, auf den anderen Einfluß zu nehmen. Worte können unsagbar wohltun und fürchterliche Verletzungen zufügen.

Freud, S. (1926e): Die Frage der Laienanalyse. GW XIV: 214


Stichwort: Therapieverfahren & Psychoanalyse

Die Psychoanalyse ist wirklich eine Therapie wie andere auch. Sie hat ihre Triumphe wie ihre Niederlagen, ihre Schwierigkeiten, Einschränkungen, Indikationen. Zu einer gewissen Zeit lautete eine Anklage gegen die Analyse, sie sei als Therapie nicht ernst zu nehmen, denn sie getraue sich nicht, eine Statistik ihrer Erfolge bekanntzugeben. Seither hat das von Dr. Max Eitingon gegründete psychoanalytische Institut in Berlin einen Rechenschaftsbericht über sein erstes Jahrzehnt veröffentlicht. Die Heilerfolge geben weder einen Grund, damit zu prahlen, noch sich ihrer zu schämen. Aber solche Statistiken sind überhaupt nicht lehrreich, das verarbeitete Material ist so heterogen, daß nur sehr große Zahlen etwas besagen würden. Man tut besser, seine Einzelerfahrungen zu befragen. Da möchte ich sagen, ich glaube nicht, daß unsere Heilerfolge es mit denen von Lourdes aufnehmen können. Es gibt soviel mehr Menschen, die an die Wunder der heiligen Jungfrau, als die an die Existenz des Unbewußten glauben. Wenden wir uns zur irdischen Konkurrenz, so haben wir die psychoanalytische Therapie mit den anderen Methoden der Psychotherapie zusammenzustellen.

Freud, S. (1933a): Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (XXXIV. Vorlesung: Aufklärungen, Anwendungen, Orientierungen). GW XV: 163f


Stichwort: Therapieziele

So wie Gesundheit und Krankheit nicht prinzipiell geschieden, sondern nur durch eine praktisch bestimmbare Summationsgrenze gesondert sind, so wird man sich auch nie etwas anderes zum Ziel der Behandlung setzen als die praktische Genesung des Kranken, die Herstellung seiner Leistungs- und Genußfähigkeit. Bei unvollständiger Kur oder unvollkommenem Erfolge derselben erreicht man vor allem eine bedeutende Hebung des psychischen Allgemeinzustandes, während die Symptome, aber mit geminderter Bedeutung für den Kranken, fortbestehen können, ohne ihn zu einem Kranken zu stempeln.

Freud, S. (1904a): Die Freudsche psychoanalytische Methode. GW V: 8


Stichwort: Tiere & Menschen (siehe auch: Menschen & Wesen und Zivilisation)

»Ich weiß nicht, was man eigentlich gegen das Tier einzuwenden hat«, sagte Freud. »Ich ziehe die Gesellschaft der Tiere der menschlichen Gesellschaft bei weitem vor. Gewiß, ein wildes Tier ist grausam. Aber die Gemeinheit ist ein Vorrecht des zivilisierten Menschen. Eine ganze Reihe häßlicher Eigenschaften des Menschen ist eine Folge ihrer Anpassung an eine hochentwickelte Zivilisation und ist das Ergebnis eines Konflikts zwischen unseren Instinkten und unserer Kultur. Die Psychoanalyse scheint mir gewissermaßen als der Faden, der aus dem Labyrinth des Lebens hinausführt

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4

Anmerkung: Freud kannte den in den USA lebenden Journalisten und Schriftstellers, er schrieb ihm Briefe und kannte auch dessen Frau (Sigmund Freud. Briefe 1873-1939. Frankfurt/M.: Fischer 1968: 395, 431, 492, Brief an dessen Frau: 396)

online: Österreichische Nationalbibliothek ANNO


Stichwort: Tod & Sterben

Der Mensch ist so armselig, wenn er nichts will, als am Leben bleiben.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 174 (Wien, 14.8.1885 an Martha Bernays)


Stichwort: Tod & Sterben

Im Grunde glaubt niemand an seinen eigenen Tod oder, was dasselbe ist: Im Unbewußten sei jeder von uns von seiner Unsterblichkeit überzeugt.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 341


Stichwort: Tod & Sterben

»Glauben Sie an die Fortdauer der Persönlichkeit nach dem Tode

»Alles, was lebt, muß zugrunde gehen. Warum sollte gerade der Mensch eine Ausnahme machen? Ich persönlich habe wahrhaftig kein Verlangen nach Unsterblichkeit. Wenn man sieht, wie die Selbstsucht der Hebel alles irdischen Geschehens ist, so wünscht man sich wirklich nicht, nochmals wiederzukommen. Das Leben würde ja bei einer Wiederholung wahrscheinlich auch nicht schöner verlaufen. Darum scheint mir der Wunsch nach seiner Verlängerung sinnlos

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4

Anmerkung: Unmittelbar vorausgehend frägt Viereck Freud: »Bedeutet es Ihnen nicht etwas, daß ihr Name unsterblich ist?« und Freud antwortet:

»Nein, das hätte für mich nicht die geringste Bedeutung, selbst wenn es der Fall wäre, was nur ja durchaus nicht so sicher erscheint. Viel wichtiger ist mir das Schicksal meiner Kinder. Hoffentlich wird sich ihr Leben leichter gestalten, ich kann leider nichts dazu beitragen. Der Krieg hat mein kleines Vermögen und die Ersparnisse meines Lebens aufgezehrt. Nun, ich kann mich damit wohl abfinden. Die Arbeit ist mein Glück.«


Stichwort: Tod & Sterben

Und was soll uns endlich ein langes Leben, wenn es beschwerlich, arm an Freuden und so leidvoll ist, daß wir den Tod nur als Erlöser bewillkommnen können?

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 474


Stichwort: Trauer

Worin besteht nun die Arbeit, welche die Trauer leistet? Ich glaube, daß es nichts Gezwungenes enthalten wird, sie in folgender Art darzustellen: Die Realitätsprüfung hat gezeigt, daß das geliebte Objekt nicht mehr besteht, und erläßt nun die Aufforderung, alle Libido aus ihren Verknüpfungen mit diesem Objekt abzuziehen. Dagegen erhebt sich ein begreifliches Sträuben, – es ist allgemein zu beobachten, daß der Mensch eine Libidoposition nicht gern verläßt, selbst dann nicht, wenn ihm Ersatz bereits winkt. Dies Sträuben kann so intensiv sein, daß eine Abwendung von der Realität und ein Festhalten des Objekts durch eine halluzinatorische Wunschpsychose (siehe die vorige Abhandlung) zu stande kommt. Das Normale ist, daß der Respekt vor der Realität den Sieg behält. Doch kann ihr Auftrag nicht sofort erfüllt werden. Er wird nun im einzelnen unter großem Aufwand von Zeit und Besetzungsenergie durchgeführt und unterdes die Existenz des verlorenen Objekts psychisch fortgesetzt. Jede einzelne der Erinnerungen und Erwartungen, in denen die Libido an das Objekt geknüpft war, wird eingestellt, überbesetzt und an ihr die Lösung der Libido vollzogen. Warum diese Kompromißleistung der Einzeldurchführung des Realitätsgebotes so außerordentlich schmerzhaft ist, läßt sich in ökonomischer Begründung gar nicht leicht angeben. Es ist merkwürdig, daß uns diese Schmerzunlust selbstverständlich erscheint. Tatsächlich wird aber das Ich nach der Vollendung der Trauerarbeit wieder frei und ungehemmt.

Freud, S. (1916-17g): Trauer und Melancholie. GW X: 430

Anmerkung: Freud schreibt diesen Beitrag einige Jahre vor dem Tod seiner, von ihm liebevoll als "Sonntagskind" bezeichneten, zweiten Tochter Sophie (sie starb am 25. Januar 1920 mit 27 Jahren an den Folgen einer schweren Grippe). 1929 schrieb Freud an Ludwig Binswanger, dessen achtjähriger Sohn 1926 verstorben war (auf der Startseite sind weitere Briefstellen zu diesem Thema zu finden):

Gerade heute wäre meine verstorbene Tochter sechsunddreißig Jahre als geworden. (…).

Man weiß, daß die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 403 (Wien, 19..11.1929 an Ludwig Binswanger)

Hier wird doch sehr deutlich, daß die persönlicher Erfahrungen Freund seine nüchterne Theorie über den Ablauf der Trauerarbeit deutlich relativieren.


Stichwort: Traum

Nach vollendeter Deutungsarbeit läßt sich der Traum als eine Wunscherfüllung erkennen.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 126


Stichwort: Traum

Der Traum gibt sich nie mit Kleinigkeiten ab; um Geringes lassen wir uns im Schlaf nicht stören. (…). Die scheinbar harmlosen Träume erweisen sich als arg, wenn man sich um ihre Deutung bemüht; wenn man mir die Redensart gestattet, sie haben es »faustdick hinter den Ohren«.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 189


Stichwort: Traum

Das erste, was dem Untersucher bei der Vergleichung von Trauminhalt und Traumgedanken klar wird, ist, daß hier eine großartige Verdichtungsarbeit geleistet wurde. Der Traum ist knapp, armselig, lakonisch im Vergleich zu dem Umfang und zur Reichhaltigkeit der Traumgedanken.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 284


Stichwort: Traum

Der Traumdeutung bleibt es überlassen, den Zusammenhang wieder herzustellen, den die Traumarbeit vernichtet hat.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 317


Stichwort: Traum

So ist der Traum oft am tiefsinnigsten, wo er am tollsten erscheint. Zu allen Zeiten pflegten die, welche etwas zu sagen hatten und es nicht gefahrlos sagen konnten, gerne die Narrenkappe aufzusetzen.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 446


Stichwort: Traum

Die Frage, ob jeder Traum zur Deutung gebracht werden kann, ist mit Nein zu beantworten. Man darf nicht vergessen, daß man bei der Deutungsarbeit die psychischen Mächte gegen sich hat, welche die Entstellung des Traumes verschulden.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 529


Stichwort: Traum

Der Traum gibt sich nie mit Kleinigkeiten ab. Aber auch das Gegenteil haben wir gelten lassen, daß der Traum die gleichgültigen Abfälle des Tages aufklaubt und sich eines großen Tagesinteresses nicht eher bemächtigen kann, als bis es sich der Wacharbeit einigermaßen entzogen hat.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 594


Stichwort: Traum

Die Traumdeutung aber ist die Via regia zur Kenntnis des Unbewußten im Seelenleben.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 613

Anmerkung: Das obige Zitat steht unmittelbar unter dem Motto: Flectere si nequeo Superos, Acheronta movebo. [Wenn ich die Götter (der Oberwelt) nicht bewegen kann, werde ich die (der) Unterwelt bewegen]. Es handelt sich um ein Zitat aus der Aeneis von Vergil (VII: 312). Die Göttin Juno, ebenso rachsüchtige wie die ohnmächtige Widersacherin des Aeneas, sucht in ihrer Klage Beistand bei den Mächten der Unterwelt und ruft dazu die Furie Allecto an.


Stichwort: Traum

Und der Wert des Traums für die Kenntnis der Zukunft? Daran ist natürlich nicht zu denken. Man möchte dafür einsetzen: für die Kenntnis der Vergangenheit. Denn aus der Vergangenheit stammt der Traum in jedem Sinne. Zwar entbehrt auch der alte Glaube, daß der Traum uns die Zukunft zeigt, nicht völlig des Gehalts an Wahrheit. Indem uns der Traum einen Wunsch als erfüllt vorstellt, führt er uns allerdings in die Zukunft; aber diese vom Träumer für gegenwärtig genommene Zukunft ist durch den unzerstörbaren Wunsch zum Ebenbild jener Vergangenheit gestaltet.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 626


Stichwort: Traum

Glaubst Du eigentlich, daß an dem Hause dereinst auf einer Marmortafel zu lesen sein wird:?

»Hier enthüllte sich am 24. Juli 1895

dem Dr. Sigm. Freud

das Geheimnis des Traumes«

Die Aussichten sind bis jetzt hiefür gering.

Freud, S. (1888): Briefe an Wilhelm Fließ (1887 – 1904), hrsg. von J. M. Masson (Deutsche Fassung: M. Schröter). Frankfurt/M.: S. Fischer 1986: 458 (Brief 248: Wien, 12.6.1900)

Anmerkung: Seit 1971 existiert die Tafel in Wien 19, Himmelstraße, Bellevuewiese (Ansicht über www.sagen.at).


Stichwort: Traum

Die Darstellung durchs Gegenteil ist im Traum so gebräuchlich, daß selbst die populären, gänzlich irregehenden Traumdeutungsbücher mit ihr zu rechnen pflegen; die indirekte Darstellung, der Ersatz des Traumgedankens durch eine Anspielung, ein Kleines, eine dem Gleichnis analoge Symbolik, ist gerade das, was die Ausdrucksweise des Traumes von der unseres wachen Denkens unterscheidet.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 96


Stichwort: Traum

Der Traum ist ein vollkommen asoziales seelisches Produkt; er hat einem anderen nichts mitzuteilen; innerhalb einer Person als Kompromiß der in ihr ringenden seelischen Kräfte entstanden, bleibt er dieser Person selbst unverständlich und ist darum für eine andere völlig uninteressant. Nicht nur daß er keinen Wert auf Verständlichkeit zu legen braucht, er muß sich sogar hüten verstanden zu werden, da er sonst zerstört würde; er kann nur in der Vermummung bestehen.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 204


Stichwort: Traum

Die Traumdeutung ist in Wirklichkeit die Via Regia zur Kenntnis des Unbewußten, die sicherste Grundlage der Psychoanalyse und jenes Gebiet, auf welchem jeder Arbeiter seine Überzeugung zu gewinnen und seine Ausbildung anzustreben hat. Wenn ich gefragt werde, wie man Psychoanalytiker werden kann, so antworte ich, durch das Studium seiner eigenen Träume.

Freud, S. (1910a): Über Psychoanalyse. GW VIII: 32


Stichwort: Traum

Seitdem wir auch tolle und verworrene Träume zu übersetzen verstehen, wissen wir, daß wir mit jedem Einschlafen unsere mühsam erworbene Sittlichkeit wie ein Gewand von uns werfen – um es am Morgen wieder anzutun. Diese Entblößung ist natürlich ungefährlich, weil wir durch den Schlafzustand gelähmt, zur Inaktivität verurteilt sind. (…) So ist es z.B. bemerkenswert, daß alle unsere Träume von rein egoistischen Motiven beherrscht werden.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 338


Stichwort: Traum

Das Studium des Traumes dürfen wir als den zuverlässigsten Weg zur Erforschung der seelischen Tiefenvorgänge betrachten.

Freud, S. (1920g): Jenseits des Lustprinzips. GW XIII: 10


Stichwort: Traum

Der Traum kann, wie allgemein bekannt, verworren, unverständlich, geradezu unsinnig sein, seine Angaben mögen all unserem Wissen von der Realität widersprechen, und wir benehmen uns wie Geisteskranke, indem wir, solange wir träumen, den Inhalten des Traumes objektive Realität zusprechen.

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 87f


Stichwort: Traum

Den Weg zum Verständnis (»Deutung«) des Traumes beschreiten wir, indem wir annehmen, dass das, was wir als Traum nach dem Erwachen erinnern, nicht der wirkliche Traumvorgang ist, sondern nur eine Fassade, hinter welcher sich dieser verbirgt. Dies ist unsere Unterscheidung eines manifesten Trauminhaltes und der latenten Traumgedanken. Den Vorgang, der aus den letzteren den ersteren hervorgehen liess, heissen wir die Traumarbeit. Das Studium der Traumarbeit lehrt uns an einem ausgezeichneten Beispiel, wie unbewusstes Material aus dem Es, ursprüngliches und verdrängtes, sich dem Ich aufdrängt, vorbewusst wird und durch das Sträuben des Ichs jene Veränderungen erfährt, die wir als die Traumentstellung kennen. Es gibt keinen Charakter des Traumes, der nicht auf diese Weise seine Aufklärung fände.

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 88


Stichwort: Traum & Psychose (siehe auch: Neurose & Psychose)

Der Traum ist also eine Psychose, mit allen Ungereimtheiten, Wahnbildungen, Sinnestäuschungen einer solchen. Eine Psychose zwar von kurzer Dauer, harmlos, selbst mit einer nützlichen Funktion betraut, von der Zustimmung der Person eingeleitet, durch einen Willensakt von ihr beendet. Aber doch eine Psychose und wir lernen an ihr, dass selbst eine so tief gehende Veränderung des Seelenlebens rückgängig werden, der normalen Funktion Raum geben kann. Ist es dann kühn zu hoffen, dass es möglich sein müsste, auch die gefürchteten spontanen Erkrankungen des Seelenlebens unserem Einfluss zu unterwerfen und sie zur Heilung zu bringen?

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 97


Stichwort: Traum & Psychose (siehe auch: Neurose & Psychose)

Wir haben es am Traum gesehen; wenn sich das Ich von der Realität der Aussenwelt ablöst, verfällt es unter dem Einfluss der Innenwelt in die Psychose.

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 98


Stichwort: Traum, Verbrechen & Psychoanalyse

(siehe auch: Psychoanalyse, Traum & Verbrechen und Verbrechen, Traum & Psychoanalyse)

Ist Ihnen nicht bekannt, wie unbeherrscht und unzuverlässig der Durchschnitt der Menschen in allen Angelegenheiten des Sexuallebens ist? Oder wissen Sie nicht, daß alle Übergriffe und Ausschreitungen, von denen wir nächtlich träumen, alltäglich von wachen Menschen als Verbrechen wirklich begangen werden? Was tut die Psychoanalyse hier anders als das alte Wort von Plato bestätigen, daß die Guten diejenigen sind, welche sich begnügen, von dem zu träumen, was die anderen, die Bösen wirklich tun?

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 147


Stichwort: Trieb

Was man von uns verlangt, ist doch nichts anderes, als daß wir den Sexualtrieb verleugnen. Bekennen wir ihn doch also.

Sigmund Freud/C. G. Jung: Briefwechsel. (herausgegeben von W. McGuire und W. Sauerländer). Frankfurt/M.: Fischer 1974: 30 (Brief 18 F; 7.4. 1907)


Stichwort: Trieb

Wir nehmen an, daß die Triebe des Menschen nur von zweierlei Art sind, entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen, – wir heißen sie erotische, ganz im Sinne des Eros im Symposion Platos, oder sexuelle mit bewußter Überdehnung des populären Begriffs von Sexualität, – und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen diese als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen. Sie sehen, das ist eigentlich nur die theoretische Verklärung des weltbekannten Gegensatzes von Lieben und Hassen, der vielleicht zu der Polarität von Anziehung und Abstoßung eine Urbeziehung unterhält, die auf Ihrem Gebiet eine Rolle spielt. Nun lassen Sie uns nicht zu rasch mit den Wertungen von Gut und Böse einsetzen. Der eine dieser Triebe ist ebenso unerläßlich wie der andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor.

Freud, S. (1933b): Warum Krieg? GW XVI: 20


Stichwort: Triebregung & Befriedigung

Das Glücksgefühl bei Befriedigung einer wilden, vom Ich ungebändigten Triebregung ist unvergleichlich intensiver, als das bei Sättigung eines gezähmten Triebes. Die Unwiderstehlichkeit perverser Impulse, vielleicht der Anreiz des Verbotenen überhaupt, findet hierin eine ökonomische Erklärung.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 437


Stichwort: Triebregung & Vernunft

(…) triebhafte Leidenschaften sind stärker als vernünftige Interessen. Die Kultur muß alles aufbieten, um den Aggressionstrieben der Menschen Schranken zu setzen, ihre Äußerungen durch psychische Reaktionsbildungen niederzuhalten.

Freud, S. (1930a): Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV: 471


Stichwort: Übertragung

Was sind Übertragungen? Es sind Neuauflagen, Nachbildungen von den Regungen und Phantasien, die während des Vordringens der Analyse erweckt und bewußt gemacht sollen, mit einer für die Gattung charakteristischen Ersetzung einer früheren Person durch die Person des Arztes. Um es anders zu sagen: eine ganze Reihe früherer psychischer Erlebnisse wird nicht als vergangen, sondern als aktuelle Beziehung zur Person des Arztes wieder lebendig. Es gibt solche Übertragungen, die sich im Inhalt von ihrem Vorbilde in gar nichts bis auf die Ersetzung unterscheiden. Das sind also (…) einfache Neudrucke, unveränderte Neuauflagen. Andere sind kunstvoller gemacht (…), indem sie sich an irgend eine geschickt verwertete reale Besonderheit an der Person oder in den Verhältnissen des Arztes anlehnen. Das sind also Neubearbeitungen, nicht mehr Neudrucke.

Freud, S. (1905e): Bruchstücke einer Hysterie-Analyse. GW V: 279f


Stichwort: Übertragung & Abstinenz & menschliche Beziehung (siehe auch: Abstinenz)

Zur therapeutischen Frage muß ich mich deutlich äußern. Sie als Seelsorger haben natürlich Recht, alle Hilfstruppen, die Ihnen verfügbar sind, heranzuziehen. Wir müssen als Analytiker zurückhaltender sein und den Hauptakzent auf die Bemühung verlegen, den Patienten selbständig zu machen, was oft zum Schaden der Therapie ausschlägt. Aber ich bin auch sonst nicht so weit von Ihrem Standpunkt, wie Sie meinen. Sie wissen, welche Neigung die Menschen haben, Vorschriften wörtlich zu nehmen oder zu übertreiben. Dies tun, wie ich sehr wohl weiß, einige meiner Schüler mit der analytischen Passivität. Speziell von H. glaube ich gern, daß er die Wirkung der Analyse durch eine gewisse verdrossene Indifferenz verdirbt und es dann versäumt, die Widerstände aufzudecken, die er dadurch beim Patienten geweckt hat. Man sollte aus diesem Falle nicht den Schluß ziehen, daß es nach der Analyse einer Synthese bedarf, vielmehr ist eine gründlichere Analyse besonders der Übertragungssituation von Nöten. Was dann von der Übertragung erübrigt, darf, ja soll, den Charakter einer herzlichen menschlichen Beziehung haben.

Sigmund Freud - Oskar Pfister: Briefwechsel 1909-1939 (hg. v. E. L. Freud & H. Meng). Zürich: Buchclub Ex Libris. Brief 81 Freud (Wien, 22.10.1927): 120f


Stichwort: Übertragungsliebe (siehe auch: Ethik & Übertragungsliebe)

Der analytische Psychotherapeut hat so einen dreifachen Kampf zu führen, in seinem Inneren gegen die Mächte, welche ihn von dem analytischen Niveau herabziehen möchten, außerhalb der Analyse gegen die Gegner, die ihm die Bedeutung der sexuellen Triebkräfte bestreiten und es ihm verwehren, sich ihrer in seiner wissenschaftlichen Technik zu bedienen, und in der Analyse gegen seine Patienten, die sich anfangs wie die Gegner gebärden, dann aber die sie beherrschende Überschätzung des Sexuallebens kundgeben und den Arzt mit ihrer sozial ungebändigten Leidenschaftlichkeit gefangen nehmen wollen.

Freud, S. (1915a): Bemerkungen über die Übertragungsliebe. GW X: 320


Stichwort: Unbewußt

Die entscheidenden Regeln der Logik haben im Unbewussten keine Geltung, man kann sagen, es ist das Reich der Unlogik.

Freud, S. (1940a): Abriß der Psychoanalyse. GW XVII: 91


Stichwort: Unmöglicher Beruf

Machen wir einen Moment halt, um den Analytiker unserer aufrichtigen Anteilnahme zu versichern, daß er bei Ausübung seiner Tätigkeit so schwere Anforderungen erfüllen soll. Es hat doch beinahe den Anschein, als wäre das Analysieren der dritte jener »unmöglichen« Berufe, in denen man des ungenügenden Erfolgs von vornherein sicher sein kann. Die beiden anderen, weit länger bekannten, sind das Erziehen und das Regieren.

Freud, S. (1937c): Die endliche und die unendliche Analyse. GW XVI: 94


Stichwort: Urlaub

Hier auf dem Ritten ist es göttlich schön und behaglich. Ich habe eine unerschöpfliche Lust zum Nichtstun, temperiert durch zweistündige Lektüre in neuen Dingen, bei mir entdeckt und mag nicht daran denken, daß der nächste Monatsanfang wieder die schwere Arbeit bringen soll. Aber 25 Jahre Praxis ist noch keine genügende Fronzeit. Vielleicht 40, vielleicht ist es überhaupt besser »to die in harness«.

Sigmund Freud/C. G. Jung: Briefwechsel. (herausgegeben von W. McGuire und W. Sauerländer). Frankfurt/M.: Fischer 1974: 488 (Brief 270 F; Klobenstein, 1.09.1911)

Anmerkung: Ritten: Südtirol (Hochplateau bei Bozen); »to die in harness«: in den Sielen sterben (Geschirr von Arbeitstieren)


Stichwort: Verbrechen Traumund & Psychoanalyse

(siehe auch: Psychoanalyse, Traum & Verbrechen und Traum, Verbrechen & Psychoanalyse)

Ist Ihnen nicht bekannt, wie unbeherrscht und unzuverlässig der Durchschnitt der Menschen in allen Angelegenheiten des Sexuallebens ist? Oder wissen Sie nicht, daß alle Übergriffe und Ausschreitungen, von denen wir nächtlich träumen, alltäglich von wachen Menschen als Verbrechen wirklich begangen werden? Was tut die Psychoanalyse hier anders als das alte Wort von Plato bestätigen, daß die Guten diejenigen sind, welche sich begnügen, von dem zu träumen, was die anderen, die Bösen wirklich tun?

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 147


Stichwort: Weiblich & Männlich (siehe auch: Männlich & Weiblich und Frauen & Männer und Männer & Frauen)

Ja, wüßte man den Begriffen »männlich und weiblich« einen bestimmteren Inhalt zu geben, so ließe sich auch die Behauptung vertreten, die Libido sei regelmäßig und gesetzmäßig männlicher Natur, ob sie nun beim Manne oder beim Weibe vorkomme und abgesehen von ihrem Objekt, mag dies der Mann oder das Weib sein.1

1) Es ist unerläßlich, sich klar zu machen, daß die Begriffe »männlich« und »weiblich«, deren Inhalt der gewöhnlichen Meinung so unzweideutig erscheint, in der Wissenschaft zu den verworrensten gehören und nach mindestens drei Richtungen zu zerlegen sind. Man gebraucht männlich und weiblich bald im Sinne von Aktivität und Passivität, bald im biologischen und dann auch im soziologischen Sinne. Die erste dieser drei Bedeutungen ist die wesentliche und die in der Psychoanalyse zumeist verwertbare.

Freud, Sigmund (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW V: 120 f und 121 Fn 1


Stichwort: Wien

Wien drückt auf mich und vielleicht mehr, als gut ist.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 219 (Berlin, 10.3.1886 an Martha Bernays)


Stichwort: Wien

Mir graut vor Wien, und dreifach wird mir grauen, wenn ich von Berlin zurückkomme.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 407 (Berchtesgaden, 11.9.1899 an Max Eitington)


Stichwort: Wien, Österreich

Das Triumphgefühl der Befreiung vermengt sich zu stark mit der Trauer, denn man hat das Gefängnis, aus dem man entlassen wurde, immer noch sehr geliebt, in das Entzücken über die neue Umgebung, das einen zum Ausruf: Heil Hitler drängen möchte, mengt sich störend das Unbehagen über kleine Eigentümlichkeiten der fremden Umwelt ein, die frohen Erwartungen eines neuen Lebens werden durch die Unsicherheit gehemmt, wie lange ein mildes Herz noch Arbeit wird leisten wollen, unter dem Eindruck der Krankheit im Stock über mir - ich habe sie [Minna] noch nicht sehen dürfen - wechselt der Herzschmerz ab mit deutlicher Depression.

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 462 (London, 6.6.1938 an Max Eitington)


Stichwort: Wissenschaft

Die Beobachtung zeigt, daß es den wenigsten Menschen möglich ist, im wissenschaftlichen Streit manierlich, geschweige denn sachlich zu bleiben, und der Eindruck eines wissenschaftlichen Gezänkes war mir von jeher eine Abschreckung. Vielleicht hat man dieses mein Benehmen mißverstanden, mich für so gutmütig oder so eingeschüchtert gehalten, daß man auf mich weiter keine Rücksicht zu nehmen brauchte. Mit Unrecht; ich kann so gut schimpfen und wüten wie ein anderer, aber ich verstehe es nicht, die Äußerungen der zugrunde liegenden Affekte literaturfähig zu machen, und darum ziehe ich die völlige Enthaltung vor.

Freud, S. (1914d): Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. GW X: 79f


Stichwort: Witz (siehe auch: Humor)

Der Machtbereich des Witzes ist ein uneingeschränkter.

Freud, S. (1900a): Die Traumdeutung. GW II/III: 182


Stichwort: Witz (siehe auch: Humor)

Wo der Witz nicht Selbstzweck, d.h. harmlos ist, stellt er sich in den Dienst von nur zwei Tendenzen, die selbst eine Vereinigung unter einen Gesichtspunkt zulassen; er ist entweder feindseliger Witz (der zur Aggression, Satire, Abwehr dient) oder obszöner Witz (welcher der Entblößung dient).

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 105


Stichwort: Witz (siehe auch: Humor)

Je größer das Mißverhältnis zwischen dem in der Zote direkt Gegebenen und dem von ihr im Hörer mit Notwendigkeit Angeregten ist, desto feiner wird der Witz, desto höher darf er sich dann auch in die gute | Gesellschaft hinaufwagen.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 109f


Stichwort: Witz (siehe auch: Humor)

Indem wir den Feind klein, niedrig, verächtlich, komisch machen, schaffen wir uns auf einem Umwege den Genuß seiner Überwindung, den uns der Dritte, der keine Mühe aufgewendet hat, durch sein Lachen bezeugt.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 112


Stichwort: Witz (siehe auch: Humor)

Der Witz wird uns gestatten, Lächerliches am Feind zu verwerten, das wir entgegenstehender Hindernisse wegen nicht laut oder nicht bewußt vorbringen durften, wird also wiederum Einschränkungen umgehen und unzugänglich gewordene Lustquellen eröffnen. Er wird ferner den Hörer durch seinen Lustgewinn bestechen, ohne strengste Prüfung unsere Partei zu nehmen, wie wir selbst andere Male, vom harmlosen Witz bestochen, den Gehalt des witzig ausgedrückten Satzes zu überschätzen pflegten. »Die Lacher auf seine Seite ziehen«, sagt mit vollkommen zutreffendem Ausdruck unsere Sprache.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 113


Stichwort: Witz (siehe auch: Humor)

Jedenfalls, wenn unsere Vermittlergeschichten Witze sind, so sind sie um so bessere Witze, weil sie dank ihrer Fassade imstande sind zu verbergen, nicht nur, was sie zu sagen haben, sondern auch, daß sie etwas – Verbotenes – zu sagen haben. Die Fortsetzung der Deutung aber, welche dies Verborgene aufdeckt und diese Geschichten mit komischer Fassade als tendenziöse Witze entlarvt, wäre folgende: Jeder, der sich die Wahrheit so in einem unbewachten Moment entschlüpfen läßt, ist eigentlich froh darüber, daß er der Verstellung ledig wird.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 116


Stichwort: Witz (siehe auch: Humor)

Die Triebfeder der Produktion harmloser Witze ist nicht selten der ehrgeizige Drang, seinen Geist zu zeigen, sich darzustellen, ein der Exhibition auf sexuellem Gebiete gleichzusetzender Trieb.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 159


Stichwort: Witz (siehe auch: Humor)

Jeder Witz verlangt so sein eigenes Publikum, und über die gleichen Witze zu lachen ist ein Beweis weitgehender psychischer Übereinstimmung.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 169


Stichwort: Witz & Juden

Die Witze, die von Fremden über Juden gemacht werden, sind zu allermeist brutale Schwänke, in denen der Witz durch die Tatsache erspart wird, daß der Jude den Fremden als komische Figur gilt. Auch die Judenwitze, die von Juden herrühren, geben dies zu, aber sie kennen ihre wirklichen Fehler wie deren Zusammenhang mit ihren Vorzügen, und der Anteil der eigenen Person an dem zu Tadelnden schafft die sonst schwierig herzustellende subjektive Bedingung der Witzarbeit. Ich weiß übrigens nicht, ob es sonst noch häufig vorkommt, daß sich ein Volk in solchem Ausmaß über sein eigenes Wesen lustig macht.

Freud, S. (1905c): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. GW VI: 123


Stichwort: Worte

Wir beginnen nun auch den »Zauber« des Wortes zu verstehen. Worte sind ja die wichtigsten Vermittler für den Einfluß, den ein Mensch auf den anderen ausüben will; Worte sind gute Mittel, um seelische Veränderungen bei dem hervorzurufen, an den sie gerichtet werden, und darum klingt es nicht länger rätselhaft, wenn behauptet wird, daß der Zauber des Wortes Krankheitserscheinungen beseitigen kann, zumal solche, die selbst in seelischen Zuständen begründet sind.

Freud, S. (1890a): Psychische Behandlung (Seelenbehandlung). GW V: 301f


Stichwort: Worte

Worte waren ursprünglich Zauber und das Wort hat noch heute viel von seiner alten Zauberkraft bewahrt.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 10


Stichwort: Worte

Durch Worte kann ein Mensch den anderen selig machen oder zur Verzweiflung treiben, durch Worte überträgt der Lehrer sein Wissen auf die Schüler, durch Worte reißt der Redner die Versammlung der Zuhörer mit sich fort und bestimmt ihre Urteile und Entscheidungen. Worte rufen Affekte hervor und sind das allgemeine Mittel zur Beeinflussung der Menschen untereinander. Wir werden also die Verwendung der Worte in der Psychotherapie nicht geringschätzen und werden zufrieden sein, wenn wir Zuhörer der Worte sein können, die zwischen dem Analytiker und seinem Patienten gewechselt werden.

Freud, S. (1916-17a): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XI: 10


Stichwort: Worte

Wir wollen übrigens das Wort nicht verachten. Es ist doch ein mächtiges Instrument, es ist das Mittel, durch das wir einander unsere Gefühle kundgeben, der Weg, auf den anderen Einfluß zu nehmen. Worte können unsagbar wohltun und fürchterliche Verletzungen zufügen. Gewiß, zu allem Anfang war die Tat, das Wort kam später, es war unter manchen Verhältnissen ein kultureller Fortschritt, wenn sich die Tat zum Wort ermäßigte. Aber das Wort war doch ursprünglich ein Zauber, ein magischer Akt, und es hat noch viel von seiner alten Kraft bewahrt.

Freud, S. (1926e): Die Frage der Laienanalyse. GW XIV: 214


Stichwort: Worte

Bei unseren Kindern, bei den Neurotikern unter den Erwachsenen wie bei den primitiven Völkern finden wir das seelische Phänomen, das wir als den Glauben an die »Allmacht der Gedanken« bezeichnen. Nach unserem Urteil ist es eine Überschätzung des Einflusses, den unsere seelischen, hier die intellektuellen, Akte auf die Veränderung der Außenwelt üben können. Im Grunde ruht ja alle Magie, die Vorläuferin unserer Technik, auf dieser Voraussetzung. Auch aller Zauber der Worte gehört hieher und die Überzeugung von der Macht, die mit der Kenntnis und dem Aussprechen eines Namens verbunden ist. Wir nehmen an, daß die »Allmacht der Gedanken« der Ausdruck des Stolzes der Menschheit war auf die Entwicklung der Sprache, die eine so außerordentliche Förderung der intellektuellen Tätigkeiten zur Folge hatte.

Freud, S. (1939a): Der Mann Moses und die monotheistische Religion. GW XVI: 221


Stichwort: Wunscherfüllung

Kaum, daß der Wunsch nach Veränderung eingetroffen ist, bedauert man seine Erfüllung. Ob es nicht oft so geht?

Sigmund Freud. Briefe 1873-1939 (ausgewählt und herausgegeben v. E. und L. Freud): Frankfurt/M.: Fischer 1968: 352 (Wien, 4.8.1921 an Oscar Rie)


Stichwort: Zivilisation (siehe auch: Gewissen und Kultur )

(…) unser Gewissen ist nicht der unbeugsame Richter, für den die Ethiker es ausgeben, es ist in seinem Ursprunge »soziale Angst« und nichts anderes. Wo die Gemeinschaft den Vorwurf aufhebt, hört auch die Unterdrückung der bösen Gelüste auf, und die Menschen begehen Taten von Grausamkeit, Tücke, Verrat und Roheit, deren Möglichkeit man mit ihrem kulturellen Niveau für unvereinbar gehalten hätte.

Freud, S. (1915b): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X: 330


Stichwort: Zivilisation (siehe auch: Menschen & Wesen und Tiere & Menschen)

»Ich weiß nicht, was man eigentlich gegen das Tier einzuwenden hat«, sagte Freud. »Ich ziehe die Gesellschaft der Tiere der menschlichen Gesellschaft bei weitem vor. Gewiß, ein wildes Tier ist grausam. Aber die Gemeinheit ist ein Vorrecht des zivilisierten Menschen. Eine ganze Reihe häßlicher Eigenschaften des Menschen ist eine Folge ihrer Anpassung an eine hochentwickelte Zivilisation und ist das Ergebnis eines Konflikts zwischen unseren Instinkten und unserer Kultur. Die Psychoanalyse scheint mir gewissermaßen als der Faden, der aus dem Labyrinth des Lebens hinausführt

Sigmund Freud (1927) im Interview mit Georg Silvester Viereck: Professor Freud über den Wert des Lebens. Ein Gespräch mit dem großen Gelehrten. Neue Freie Presse, Wien 28. 8. 1927 (Morgenblatt): 4; Quelle: CD-ROM Freud im Kontext: F27h:4

Anmerkung: Freud kannte den in den USA lebenden Journalisten und Schriftstellers, er schrieb ihm Briefe und kannte auch dessen Frau (Sigmund Freud. Briefe 1873-1939. Frankfurt/M.: Fischer 1968: 395, 431, 492, Brief an dessen Frau: 396)

online: Österreichische Nationalbibliothek ANNO


 

nach oben


Praxis für Psychoanalyse und Psychotherapie - Dr. Jürgen Thorwart

Startseite I Suche I  Kontakt I Impressum